Testimonials
Iván Fischer - Dirigent
Iván Fischer hat in den 70iger Jahren im Mozarteum bei Nikolaus Harnoncourt studiert und wurde sein Assistent. Er ist im Juli 1978 beim Carinthischen Sommer für Händels Jephtha als Dirigent für den erkrankten Nikolaus eingesprungen. Als Chefdirigent des Konzerthauses Berlin veranstaltete er eine Hommage an Nikolaus Harnoncourt im November 2014.
„Nikolaus Harnoncourt hat wie kein anderer das Musikverständnis unserer Zeit verändert und den neuen Weg gezeigt: Nämlich dass Musik viel mehr ist als Klangschönheit; sie ist ein Kommunikationsmittel, eine Sprache. Harnoncourt versteht und spricht die Sprache der Musik und lehrt uns alle, sie wieder zu verstehen.“
Iván Fischer, Chefdirigent des Konzerthausorchesters und ehemaliger Schüler von Nikolaus Harnoncourt
Sir Simon Rattle - Dirigent
Sir Simon Rattle gründet 2025 ein neues HIP Orchester beim BRSO in München und bekennt sich im Münchner Merkur „Ich bin ein Baby Harnoncourts“.
Münchner Merkur vom 16. Januar 2025, Markus Thiel
Alexander Pereira - Interview mit Anna Mika - 01.2009
Alexander Pereira: “Die Qualität einer Aufführung entscheidet sich am Dirigentenpult.”
Dieses Gespräch fand im Büro von Herrn Pereira am 16. Januar 2009 statt, also zu der Zeit, in der er Intendant im Opernhaus Zürich war. Wie alle die Interviews von Anna Mika über Nikolaus Harnoncourt diente es der Recherche für das Buch Oper, sinnlich. Die Opernwelten des Nikolaus Harnoncourt, das, verfasst von Johanna Fürstauer und Anna Mika, 2009 erschienen ist.
Inzwischen ist Alexander Pereira Chef der Mailänder Scala und hat zwischenzeitlich die Salzburger Festspiele geleitet.
Herr Pereira, Sicher haben Sie Nikolaus Harnoncourt schon lange vor Ihrer Intendanz in Zürich gekannt, etwa vom Konzerthaus in Wien?
Ja natürlich haben wir uns von Wien her schon gut gekannt, und es ist sogar so: Als man in Zürich einen Nachfolger für den Intendanten Christoph Groszer gesucht hat, hat man sich offenbar schwer getan, jemanden zu finden. Und da war es Nikolaus, der gesagt hat: „Im Konzerthaus in Wien ist einer, mit dem es sich ganz gut arbeiten lässt“ (schmunzelnd). So wurden die auf mich aufmerksam, und so kam ich schließlich hierher nach Zürich.
Sie haben ja von Ihrer Vorfahrenreihe her sowohl einen nahen Bezug zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“ als auch zu Felix Mendelssohn Bartholdy.
Ja, das ist beides über meine Ur-Ur-Urgrossmutter (?) Fanny von Arnstein (1758-1818, Anm.). Sie war die Tante von Mendelssohn und hat in dem Haus gewohnt in dem Mozart die Entführung komponiert hat. Sie können das alles nachlesen: Hilde Spiel hat über Fanny von Arnstein ein Buch geschrieben, da steht das alles drinnen.
Sie haben, als Sie 1990/91 die Intendanz in Zürich angetreten haben, eine gewachsene Harnoncourt Tradition vorgefunden, und überhaupt haben Sie ja wiederholt geäußert, dass sich die Qualität einer Opernaufführung am Dirigentenpult entscheidet.
Wir haben grade mit Harnoncourt auch während meiner Intendanz ganz großartige Aufführungen erlebt: den Fidelio, den Freischütz, dann die Schubert-Opern – ganz besonders!, der Da-Ponte Zyklus mit Flimm und dann die Neudeutung von Monteverdi. Die Ponnelle Zyklen von Monteverdi und Mozart hatten ja einen derart legendären Ruf, da war schon die Gefahr da, vor Ehrfurcht zu erstarren und es nicht mehr zu wagen, diese Opern erneut zu deuten. Diese unsere neuen Zugänge zu diesen Werken waren wichtig!
Was die Qualität der Dirigenten betrifft, so habe ich als Direktor des Wiener Konzerthauses gelernt, wie sehr ein Dirigent eine Aufführung prägt. Im Falle eines Konzertes liegt das auf der Hand – klar! Warum sollte ich dann diese gute und richtige Erfahrung wieder in den Hintergrund drängen, sobald ich ein Opernhaus leite? Es ist auch in der Oper so: „Die Qualität eines Abends entscheidet sich am Dirigentenpult“!
Wenn in Zürich Wiederaufnahmen kommen, so werden diese tagelang geprobt und en Suite gespielt, und das Ensemble ist dann möglichst gleichbleibend. Auch werden die Stücke immer wieder neu inszeniert.
Ja natürlich, soll ich Inszenierungen aus den 1950ern oder 60ern noch immer spielen? Das ist doch selbstverständlich!
In Ihrer Intendanz und durch Harnoncourt haben ja auch einige wunderbare Sänger- Weltkarrieren begonnen, etwa die von Cecilia Bartoli oder Eva Mei, Jonas Kaufmann, Christoph Strehl…
Ja, und das ist auch außerhalb des Hauses so, dass Harnoncourt Sängerkarrieren initiiert hat, da kann man Michael Schade nennen.
Oder Dorothea Röschmann oder Anna Netrebko….
Als einer der gefragtesten Intendantenpersönlichkeiten, der Sie sind, darf ich Sie fragen, wie Sie zur Zukunft der Kunstform Oper stehen.
Das Opernhaus Zürich nimmt die Aufgabe, lebende Opernkomponisten und -komponistinnen zu fördern, ernst. In Kürze werden die drei Operneinakter aufgeführt, die wir im Projekt des teatro minimo ausgewählt haben. Da war ein Wettbewerb, bei dem die drei KomponistInnen dieser Opern gekürt wurden. Im Zuge der Aufführung wird dann Einer/Eine der drei von einer Jury ausgewählt und erhält dann von uns den Auftrag für ein weiteres, abendfüllendes Werk.
Ist Oper elitär?
Sie ist nicht elitär! 70% unseres Publikums sind die ganz normale Bevölkerung. Beim Rest gibt es natürlich die ganz Reichen, aber die sind ja auch unsere Gönner. Über die soziale Zusammensetzung unseres Publikums gibt es regelmäßige Statistiken.
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
29.11.2019 von Nils Mönkemeyer
Jürgen Flimm im Gespräch mit Dieter Kassel: Groß und klug und ein bisschen furchteinflößend
Deutschlandfunk Kultur, 7.3.2016
Jürgen Flimm - Interview mit Anna Mika -10.2008
Zur Zeit des Gesprächs, im Oktober 2008, war Jürgen Flimm Intendant der Salzburger Festspiele.
Das folgende Gespräch ist ein straffer Spaziergang durch Flimms fünfzehn Opernproduktionen mit Harnoncourt, denn der Intendant hatte etwas weniger als eine Stunde Zeit für das Gespräch.
Flimm: Die erste Arbeit mit Nikolaus war Cosί fan tutte in Amsterdam 1992
Mika: Das war ja ein riesiger Erfolg, wie ich aus Kritiken lesen konnte. Auch ein persönlicher Erfolg für Charlotte Margiono. Sie haben ja Cosi nochmals mit Nikolaus Harnoncourt (in der Folge kurz NH) in Zürich gemacht
Das war auch mit ihm, aber beides sehr verschieden. Amsterdam war so ganz poetisch, da lag die Betonung auf Alfonso als Regisseur des Ganzen, mit sehr vielen Gehilfen. Die ließen wir aus einem Tiepolo-Gemälde herausspringen und die eierten da mit ihm herum. Alles auf einer Insel im Wasser. Das hatte akustische Gründen, sah aber sehr schön aus. Ein großer Holzraum, der bemalt war, sehr poetisch, sehr schön!
War das schon in der jetzigen Nederlandse Opera?
Jaja, die gabs da schon. In Zürich legten wir den Wert auf „La scuola degli amanti“, den Untertitel der Oper. Das spielte in einem Hörsaal, eine Akademie, und wir sind in diesen Hörsaal immer wieder zurückgekehrt, für die Reflexionen zwischen den Frauen und zwischen den Männern, aber es wurde auch herausgegangen. Am Ende sind alle in diesem komischen Biotop gelandet, wurden ausgestellt, man hat sie beäugt.
Sie haben in Zürich die Despina mit Agnes Baltsa, also einer älteren Frau besetzt, was NH zuvor auch schon gemacht hat
Das geht ja auch! Eine tolle Gelegenheit für diese wunderbare Sängerin. Die ist dann aber abgehauen, ist dann mit dem Koffer nach dem großen Sextett weg, hat den Alfonso verlassen.
Wenn Sie mehrere Inszenierungen desselben Werkes machen, was geht da bei Ihnen vor?
Völlig von vorne fange ich da an. Das was man schon mal gemacht hat, fließt ja ein, man hat ja die Erfahrung. Es wäre ja seltsam, sich einfach nochmals zu kopieren, dazu ist das Leben ja zu kurz.
In 10 Jahren passiert ja auch allerhand mit einem selber…
Das ist richtig!
Das nächste war Fidelio in Zürich?
Ja, das sollte zuerst mit Rudolf Noelte sein, doch die haben abgesagt, denn er wollte eine 14jährige Sängerin als Leonore. Das geht ja nicht, wie wir wissen, und dann ist er ausgestiegen. Und da bin ich eingesprungen, kurzfristig, das war eine sehr schöne Aufführung.
Sie haben es ja in New York und in London auch noch gemacht.
Nun, ich habe es in New York gemacht. In Zürich war es mit historischen Kostümen, in NY mit zeitgemäßen Kostümen. Karitta Mattila, die fährt ja um die Welt, sie hat das in Chikago gesungen, dann eben in London, und für dort habe ich das nochmals ein wenig anders gemacht. Es war im Gunde dieselbe Aufführung.
In Zürich waren ja Leonore und Florestan eindeutig – von den Kostümen her – aus dem Ancien régime.
Nun ja, Harnoncourt hat ja hier den richtigen Einwand, dass es sich bei Fidelio nicht um ein Revolutionsdrama handelt, sondern um diese unglaubliche, utopische Liebesgeschichte. (siehe mein eigenes Interview mit NH über Fidelio)
Dann der Figaro in Amsterdam…
… der war auch so poetisch wie Cosi, im selben Stil, in einem poetischen Raum
Warum habe Sie eigentlich nicht den Don Giovanni auch dort inszeniert, wäre doch schön gewesen als Zyklus?
Weiß nicht, vermutlich weil er vorher war.
Die Susanna war damals schon die Isabel Rey.
Ja das sollte ursprünglich die Barbara Bonney sein, die hats dann doch nicht gemacht, da waren wir sehr in Not. Da haben wir den Pereira gefragt, der sagt: nimm doch die Rey. Die hab ich mir dann angekuckt und war sehr enttäuscht, in irgendeiner Oper in Zürich, ich weiß nicht mehr was es war. Aber wir hatten keine Chance. Und schließlich war das eine extreme Liebesgeschichte zwischen ihr und mir – also ich meine künstlerisch – seitdem habe ich immer versucht, wenn ich was gemacht habe, es mit ihr zu machen.
Die Zürcher Susanna von Isabel Rey war ja unglaublich gut, überhaupt war dieser Zürcher Figaro ein riesen Erfolg.
Ja, auch für das Theater, da sind die Menschen ja um den Block gestanden um Karten zu haben
Im dritten Akt, da war das Bühnenbild ja so rötlich. War das Herbst oder verbrannt? Hatte das mit Feuer zu tun?
Das weiß ich nicht mehr wirklich, das war eine Idee des Bühnenbildners Erich Wonder. Der dritte und vierte Akt waren ja in einem Bild, dem Park, die gingen ineinander.
Toll war ja diese Zeitreise am gänzlichen Schluss!
Das war toll! Das bedeutet, es geht immer noch so weiter. Auf diesen letzten Akt bin ich sehr stolz. Der ist mir nämlich in Amsterdam nicht wirklich gelungen, da wars im Wald: Und in Zürich haben wir ganz extrem die Drehbühne eingesetzt. Das ist ja ganz kompliziert geschrieben, man muss fragen, wer sieht wen und wird dabei nicht gesehen? Da hat die Drehbühne viel gebracht. Und bei „Corriam tutti“ sind sie auf der drehenden Bühne gelaufen und wieder zurück, also sie kamen in Wirklichkeit nicht von der Stelle, sie sind nicht weiter gekommen. Das fand ich sehr schön!
Die Gräfin war mit Eva Mei sehr jung besetzt…
Das sollte so sein, ja!
Und es wurden alle Arien gesungen.
Da war der große Wunsch von Nikolaus, da hat er diese spezielle Theorie, dass sich das Stück dann in den Arien auflöst. Ich habe das brav gemacht und bin nach wie vor nicht überzeugt, dass das ein guter Einfall ist, aber er hat es wollen. Für einen Regisseur ist das nicht leicht zu inszenieren.
Aber es war überzeugend.
Nun ja, ich habe auch gern gemacht, aber eingesehen hab ichs nicht.
Und dann war einmal die Bartoli als Susanna besetzt, hats aber dann abgesagt.
Sie hat das dann selber aufgesteckt, sagte, es seien zu viele „movements“. Auch war die Probezeit viel zu kurz. Dann hat das wieder die Isabel gemacht.
Das nächste war dann die Poppea in Salzburg
Das war bei Mortier, wobei ich nicht sicher bin, ob es das Projekt wollte, er hatte es geerbt (von wem, Anm:???). Die Herausforderung war, das Stück ist sehr filigran, und dazu die große Bühne. Aber es gelungen, die Leute reden heute noch davon.
Diese große Bühne war das eine Merkmal, und dann fand ich auch dass dieses Luxuriöse der Salzburger Festspiele so nett auf den Arm genommen wurde. Die beiden Damen zu Beginn,….
Ja das war lustig, die Leute sind drauf reingefallen, einer hat ihr sogar einen Platz angeboten. Das hat total funktioniert!
An dieser Stelle will ich Sie etwas meiner Meinung nach sehr wichtiges fragen. Es gibt ja die musikalische Rhetorik, von Monteverdi bis einschließlich Beethoven. NH legt da ja großen Wert drauf….
Also sie meinen die Rezitative?
nein nicht wirklich! (erkläre es: die feststehenden musikalischen Floskeln, die etwas ganz Bestimmtes, Festgelegtes bedeuten, Anm.). Und da gab es eine Stelle, ein mehrfach wiederholter starker Ton, eine Art Concitato, da ist der Nero, es war Philip Langridge, wirklich genau zur Musik gehüpft.
Ja also das hat mit der Nikolaus natürlich vorher gesagt. Er macht das immer. Man bekommt Unterweisungen, jede Vorbereitung ist eine Lehrstunde in der Geschichte der Musik. Das hat er mir sicher gesagt und ich habs brav umgesetzt. Wir haben immer sehr intensiv und genau gearbeitet, bei Figaro vor allem, bei einer Szene, wo die den Cherubino zu einem Mädchen umbauen. Es saß da neben mir – er war ja früher viel mehr da als heute, was auch sehr schön war – und er sagt: das ist nicht gut. Und da sagte ich ja was ist denn nicht gut? Er sagte: Ich bin kein Regisseur, das musst Du machen. Und da hatte er auch recht. Und dann habe ich es uminszeniert und sagte: wie findest Du es jetzt: Und er sagte: das kriegst Du besser hin! Und dann habe ich mein Hirn angestrengt, da ganze nochmals umgebastelt, die Aktion mehr in die Rezitative hinein. Dann hat es funktioniert und er war zufrieden. Ein schönes Beispiel, lustig!
Bei Poppea in Salzburg waren die beiden Hauptpartien mit englischen Sängern besetzt. Hat das die Ästhetik verändert, da England ja eine ganz eigene Barockkultur hat.
Nein, überhaupt nicht.
Mit hat diese Brechung in die heutige Zeit, die immer wieder einmal passierte, in der Salzburger Inszenierung so gut gefallen.
Ja das war lustig!
Und dann kam ja die Poppea nochmals in Zürich…
Das war eine unglückselige Produktion! Weder NH noch ich waren zufrieden. Die Sänger waren dauernd krank (Kasarova auch bei der Premiere Anm.)
Kasarova kam erst einmal zu den Proben zu spät, dann war sie krank, dann da , dann krank… Ursprünglich war das ein Projekt mit der Bartoli, dann hat sie das abgesagt, worauf ich es auch abgesagt habe. Dann kam die Vesselina ins Spiel, mit der ich schon sehr schöne Sachen gemacht habe, und da hab ich gesagt, ich mache es doch, und dann kam sie zu spät zu den Proben und dann wurde sie krank. Eine meiner unglückseligsten Zeiten. Und die anderen Sänger waren müde oder nicht wirklich studiert, das ging immer so hin und her. Und am Ende haben wir beide gesagt: was machen wir nur mit dieser Produktion? Sie war dann ganz erfolgreich, aber die Arbeit war sehr mühselig.
Konzeptionell wollte ich sehen ob sich der Stoff ins heute herüberziehen lässt, aber das war nicht richtig: Es gibt in diesem Werk bestimmte ikonografische Qualitäten, und wenn man die und die Begriffe dazu verloren hat, dann klappts nicht.
Ich fand die Salzburger Aufführung sehr viel besser,
…ich auch, ehrlich gesagt!
Es wäre besser geworden, wenn wir gut arbeiten hätten können, das konnten wir nicht. Es waren Leute da, die unerfahren waren. Und ich, ich kann und will da in meinem hohen Alter keine Konzessionen mehr machen, will nicht mehr erklären müssen, wie man sich auf der Bühne bewegt. Ich habe das dann auch mitgeteilt, dass die das woanders hätten lernen müssen.
Dann kam Alcina, eine wunderschöne Produktion!
Ja, es kam die Debatte auf, man sollte einen Händel machen, und Nikolaus sagte, ich solle mich umsehen was es da gibt, und dann sagte ich, die Alcina wäre schön…
Und wir machten sie und es wurde wirklich eine schöne Aufführung. Und das beste dran war, dass es so wie eine Neuentdeckung dieser Oper von uns war, denn danach wurde überall Alcina gemacht, jeder Regisseur, jeder Dirigent hat sich danach auf die Alcina gestürzt. Man hat vergessen, dass wir die eigentlich wiederentdeckt haben. (Anm.: das stimmt vielleicht nicht ganz, denn Mitte der 80er gab es in Graz eine Alcina)
Ihr Konzept war ja ganz besonders, diese völlig leere Bühne.
Ja, diese Lug und Trug Geschichten mit den Trompe D’oeuill Sachen. Dann gab es da ja etwas ganz Lustiges. Als diese Menschen die da zurückgezaubert wurden, die Zauberinsel verließen, da haben wir die in diese Shakerkostüme gesteckt, diese Amischen. Die gingen durch das Bühnentor auf die Straße, man hat die Strasse draußen gesehen. Und dann war eben das Besondere, dass ich erst im Nachhinein erfahren habe, dass die Amischen eine Sekte aus Zürich waren, die sprechen heute noch Schwyzerdütsch. Das war ja (lachend) geradezu hellsichtig von uns, die sind also aus dem Theater raus und haben sich nach Virginia oder wo die jetzt leben, verzogen. Das hat der Rodney Gilfry erzählt. Der war mal da mit seinen Kindern bei den Amischen, und seine Kinder sind ja in Zürich aufgewachsen, und die haben gehört, dass die Alemannisch reden und die konnten mit denen reden, denn die Kinder konnten Schwyzerdütsch. Das haben wir vorher nicht gewusst.
Für mich war diese Oper ein Spiel mit den Empfindungen, die Gefühle lagen völlig unverdeckt da. Besonders im ersten Jahr wo dieser österreichische Sopranist sang…
…Arno Raunig, nachher hat’s Ann Murray gemacht. In Zürich war diese Produktion ja ein ganz großer Erfolg, und da sind wir zu den Wiener Festwochen gefahren, und da war es gar kein Erfolg. Die wussten nicht, was das soll, da gab es sogar Buhs.
Ja die Wiener sind eine eigenes Volk! Das nächste war dann L’amina del filosofo von Haydn
Die Idee entstand hier während der Poppea. Es war die Idee Bartolis, das zu bringen, wenn ich mich recht erinnere. In Wien kams zuerst und es war ein Riesenerfolg. Das Bühnenbild von George Tsypin war großartig.
Dieses Höllenbild!
Boaaah, unglaublich! wie die da im Wasser standen! Und wie Nikolaus das dirigiert hat!!! Das ging nämlich auch noch nach London, und da hat das ein so genannter englischer Barockspezialist dirigiert, und das war überhaupt nichts, völlig leer!
Wissen Sie wie er geheißen hat?
Ja natürlich, es war Hogwood. Bei Nikolaus war das Panik pur, bei dem garnichts. Und da dachte, siehst Du, der Nikolaus hat zu dem Haydn doch noch einen anderen Bezug als die Kameraden da oben auf der Insel. Bei Nikolaus hatte das eine Macht, eine Kraft, unglaublich!
Es endet ja für den Orpheus nicht gut, die Erynnien bringen ihn um.
Ja das ist nicht schön für ihn. Wie sich das so mehr und mehr einschloss, ja das war gelungen!
Und diese Idee, den Schlangenbiss durch einen hellen Lichtblitz darzustellen!
Das könnte man ja nicht anders machen,
Eben, super Idee! Dieses Stück war ja der persönliche Durchbruch für Roberto Saccà, er war Orpheus.
Ja das sollte erst jemand anderer machen, ein berühmter deutscher Tenor der nicht mehr singt, weiß nicht mehr seinen Namen. Doch da waren diese tollen Frauen, die Cecilia Bartoli und die Eva Mei, beides ganz super Frauen, und der hatte Angst vor denen. Buchstäblich. Er ist jetzt mit einer Japanerin verheiratet…
….ach, Uwe Heilmann! Der hatte Krebs, einen Kehlkopfkrebs, und konnte ihn heilen, er singt jetzt wieder, war bei der Schubertiade in Hohenems. Er hat mir selbst seine Geschichte erzählt.
…also statt dem kam dann der Saccà, er hat das großartig gemacht und hatte dann bis heute eine schöne Karriere.
Er hat kürzlich Florestan gesungen in ZH, es war gut!
Das nächste in meiner Liste ist Schuberts „Alfonso und Estrella“
Das war auch zuerst in Wien und dann in Zürich, in Wien mit mäßigem Erfolg. Ich hatte zuerst Schwierigkeiten mit dem Stück und bin dann draufgekommen, dass in diesem Stück permanent Krieg ist. Und das fand ich für einen romantischen Komponisten wie Schubert schon eine recht spannende Sache. Wie ich das dem Nikolaus gesagt habe, war er ein wenig konsterniert. Doch es stimmt, und wir haben das dann so gemacht, und es hat funktioniert. Die Menschen sind ja permanent auf der Flucht und der, der da in seinem Kämmerchen sitzt – sowas geht natürlich nicht, dieser romantische Rückzug.
Dann dieses wirklich schöne Bühnenbild von Erich Wonder! Diese Produktion war eine von meinen wirklich gelungenen.
Was sagen Sie zu der gängigen Kritik an Schubert als Opernkomponist?
Das ist natürlich völliger Blödsinn, er hat ganz tolle Opern geschrieben, die wirklich Kraft haben.
Vielleicht ist es mehr eine innere Dramatik, weniger eine äußerliche?
Nein, Alfonso und Estrella ist eine richtige Oper mit allem was dazu gehört. Wenn Sie diese Kriegschiffre spielen, dann wird das ganz heftig!
Dann war der Zyklus der Offenbachs. Belle Hélène war ja mit Lohner..
(Nuschelnd) ach den Lohner den mag ich nicht so…
… die Périchole kam dann, mit der Vesselina. Und ich habe damit eine riesige Freude gehabt, denn Offenbach ist ein naher Verwandter von mir. Wir sind beide aus Köln…
…Sie sind aber nicht wirklich verwandt mit ihm?
Naja, wir sind beide Kölner. Der ist mehr Kölner als Pariser. Und diese Musik kenne ich, er hat da viele Kölner Lieder in seine Musik übernommen. Das ist oft Kölsche Volksmusik. Und da habe ich wahnsinnig gefreut das zu machen, ein riesiger Spaß, ein höchst vergnüglicher Abend.
Und da habe ich mich sehr gefreut auf die Geroldstein
Ich gestehe, dass ich diese nicht gesehen habe, ich kann mit Offenbach nicht allzu viel anfangen.
Ach, aber die Geroldstein, die hätte sie versöhnt! Schade dass Sie sie nicht gesehen haben, die war eine steile Veranstaltung!
Was war es, was so toll war?
Es war die Besetzung toll, aber vor allem dieser antimilitaristische Blödsinn, ein antimilitärisches Stück, wunderbar, wie der das verblödelt.
Harnoncourt hatte die Uniform an?
Ja, und das ganze Orchester, das Chamber Orchestra of Europe hatte die Uniformen der französischen Militärmusik an. Eine wahnsinnig komische Aufführung, ein riesiger Spaß. Und dann hatten wir diese Schrift über der Bühne, diese blöde Übertitelei, die haben wir verballhornt. Da gibt s ein Lied (singt) lalalalalala, also 94mal „la“, das haben wir ausgezählt, und das haben wir da oben hingeschrieben. Und dann gibt es so ein Komplott in dem Stück, jemand sollte umgebracht werden, fragen Sie mich nicht, wer. Und am Ende der Szene, wo ja gewöhnlich applaudiert wird, kam die Schrift: „Liebe Grazer, wir sind empört. Hier geht es um Mord und Totschlag, und Sie applaudieren“. Solche Dinge. Oder „rufen Sie bitte die folgende Nummer an“ oder in der Pause haben wir geschrieben „Applaus, Applaus für Nikolaus“.
Wissen Sie was NH an Offenbach so anzieht?
Er sagt, Offenbach ist im Himmel in der ersten Reihe. Und er dirigiert ihn ja nicht so, wie man es landläufig tut. Das ist bei ihm irgendwie wie aus einem Leierkasten, echt erfrischend. Irgendwann wurde uns angeboten, „Hoffmanns Erzählungen“ zu machen, das hat ja nun mit Offenbach höchstens mit 10% was zu tun, das ist von weiß Gott wem allen. Dinge wie diese Barcarole hätte er nie geschrieben!
Dann Don Giovanni in Zürich?
Da war ich nicht so damit zufrieden, das hatte auch mit dem Bühnenbild zu tun, das mir nicht wirklich gefallen hat.
Diese umbaute Statue?
Das war noch eine ganz gute Idee, zu sagen die wird jetzt gebaut. Auch dass der Ottavio so ein komischer Künstler, Architekt ist, das war ganz gut. Aber ich hab das Stück letztlich nicht hingekriegt.
Im zweiten Teil, wenn nur noch der Leporello da ist, und die Sache mit dem Komtur…
Aber der Schluss ist doch wirklich gelungen!
Naja, dieser brennende Tisch, ein guter Trick. Aber wirklich beruhigt war ich, als das heuer Claus Guth in Salzburg gemacht hat, die erste Don Giovanni Aufführung wo ich sage dass sie gelungen ist. Auch alle Regisseure die drinnen waren sagten das. Allein das Bühnenbild, aus dem veristischen Zeugs herauskommen, und die Idee, dass der angeschossen ist.
Ich habe mich immer gefragt warum er immer noch den Mädels nachrennt obwohl keine mehr auf seine Liste steht, und es kommt ja keine mehr drauf. Aber mein Don Giovanni in Zürich war nicht gut!
Liegt das vielleicht auch an gewissen Sängerkonstellationen?
Nein, nein, mein Konzept war nicht gut. Das Stück ist massiv schwer, ich werde es nie wieder machen!
Die Fledermaus?
Ja die, die war ein bisschen überkonzeptioniert. Dass der Dr.Falke der Regisseur des ganzen ist, soweit dass sich alles am Ende in das Wohnzimmer zurück verwandelt……
Der zweite Akt ist mir gelungen, aber der Dritte, den habe ich total unterschätzt. Der ist von Haus aus nicht gut. Und ich habe gedacht, da kommt der Frosch und alles ist gut, da habe ich mich zu sehr drauf verlassen. Und eben am Ende das Überkonzept.
Die Idee, dass Orlowsky eine verkleidete Frau ist, war doch toll!
Ja das war sehr schön, mit Agnes Baltsa, wunderbar! Die hat das gut gemacht.
Und Isabel Rey war dabei!
Ach, fantastisch! Und die Dussmann auch, alle waren fantastisch! Nur meine Idee mit dem Rückbau im dritten Akt war nicht gut.
Aber der Einfall, dass alle aus dem Sozialhilfemilieu kamen, war toll,
Jaja das war gut! Die Typen waren total schräg. Und da hat mich eine Dame auf der Premierenfeier drauf angeredet und da sagte ich: „Kucken Sie morgens in den Spiegel, und sie sehen genau so aus!“
King Arthur?
Ein sagenhafter Erfolg, wenn auch die Kritik mäkelte. Ich wurde damals als Intendant gehandelt, daher war sie extra mäkelig. Wir wollten zuerst Fairy Queen machen, aber die Sache mit dem Sommernachtstraum da drinnen ist nicht wirklich schlüssig, das Stück ist nicht wirklich gut. Und dann haben wir uns zu Arthus entschlossen. Das ist ja auch nicht die Arthussage, die wir kennen, sondern ist mit Luftgeistern. Ginevra ect. kommen nicht vor.
Das war für ein paar Leute eine Enttäuschung, sie dachten Tafelrunde und so, doch das ist völlig was anderes.
Das war eine der schönsten Arbeiten die ich je gemacht habe. Ich habe zuerst mit den Schauspielern gearbeitet, habe versucht meine ganze alte Family vom Thaliatheater zusammen zu bekommen, die kamen auch alle und sagten, machen wir dem Jürgen eine schöne (genuschelt) Aufführung??
Ich habe früh zu proben begonnen, und irgendwann kamen die Sänger. Und dann sagte ich zu den Schauspielern, so jetzt machen wir denen vor, was wir schon gearbeitet haben. Und die Sänger saßen da, kreidebleich und applaudierten. Und der Michael Schade sagte: Jetzt müssen wir uns aber anstrengen. Und dann stiegen die ganz toll ein, die Bonney, der Schade und die Isabel, wirklich ganz toll!
Eben Schauspieler und Sänger in Deckung zu bringen…
Ja eben, so ging das zusammen es war wie aus einem Guss. Das sehen Sie auf dem Video. Und das ging noch weiter. Später kam noch der Chor, -Chorvereinigung Wiener Staatsoper, die sind viel besser als der Arnold Schönberg Chor – dazu. Und ich sagte: setzt euch mal hin und schaut was wir gemacht haben. Und dann kriegten die…Sie wissen schon. Da kam eine einmalige Situation. Der Chorvorstand kam und sagte: „Jürgen, wir müssen über die Tanzproben reden“ Und ich dachte, was jetzt schon wieder, um Gottes Willen! Dachte die können nicht, wollen nicht..
Und dann sagte der: „Wir brauchen mehr Proben“. Das ist eine wirklich einmalige Situation, das geht ein in die Theatergeschichte!
Und dann kam das Orchester und es war sofort in einer guten Stimmung, und alle sagten: das Ding knallen wir jetzt hin. Es war wirklich toll!
Da waren ja so Scherze, Barbara dirigierte das Publikum, und die sangen tatsächlich. Und Michael Schade war ein Rocksänger. Nikolaus sagte: das ist der erste Rocksong, und übrigens sagte er mir vor den Proben: Das ist das erste Musical der Geschichte. Und da sagte ich: Das hast Du nicht umsonst gesagt, mein Lieber, und da haben wir echt auf dem Putz gehaut.
In der Generalprobe war das Publikum schier verrückt, und dann kam die Premiere und die war ein riesen Flop. Da saßen die weißen Dinnerjacketts, denen war das völlig fremd, die wollten den gediegenden Mozart: Standbein Spielbein oder ein nettes Konzertchen, und auf einmal ging das damit los!
Und dann kam ich auf die Bühne und kriegte Buhs, tatsächlich! Ich dachte das ist doch hier eine putzige Sache, ich habe die doch nicht erschreckt. Aber ich hab sie wohl doch erschreckt. Und – aus dem Moment heraus – hab ich mir ans Herz gegriffen und bin umgefallen. Pahhh! Und der der Buh gerufen hat, hat sofort aufgehört. Sowas kann man nur einmal im Leben machen.
Und schließlich wurde es ein Riesenerfolg, die Leute haben sich um die Karten geprügelt. Eine Dame schrieb mir, sie hätte sich gefühlt, als wäre sie im Publikum ein Teil des Ganzen. Das war einer der schönsten Briefe, die ich je bekommen habe.
Das steht auch in dem Buch „Theaterbilder“.
Ja, vielen herzlichen Dank, Herr Intendant, das waren alle Stücke, alle meine Fragen!
Zu Nikolaus generell will ich sagen: Jede dieser vielen Aufführungen war eine musikalische Reise, ich hab jedes mal unendlich viel gelernt.
Zum Beispiel habe ich ihn mal bei einer Cosi-Probe gefragt, was es auf sich habe mit den Trompeten bei Mozart. Und dann hat er mir erklärt von den Signaltrompetern, dass die von der Militärmusik ausgeliehen wurden, dass sie so teuer waren und dass ihnen die Zunge abgeschnitten wurde, wenn sie mehr als einen Schüler hatten. Das weiß der alles, weiß es einfach! Er ist nicht nur ein toller Musiker, sondern auch ein toller Wissenschaftler, macht nichts ohne Grund. Das ist nicht einer der angereist kommt, die Arme hochhebt und dann wars das. Bei ihm ist es jedes Mal ein existenzielles Ereignis.
Und schließlich sagte ich zu ihm: Bei deiner langen Reise durch die Musik musst Du bei Alban Berg ankommen, da ist noch die Wiener Schule drin. Ich hätte lieber Wozzeck gemacht, aber er meinte, den kenne er nicht so gut, das schafft er nicht mehr. Lulu kennt er besser.
Sie machen sicher die Urfassung?
Ja, kein Cerha!
Und wer ist Lulu?
Die Petibon.
2010 ist NH 81 Jahre alt!
Ja aber er ist so gut in Schuss, Leute, die halb so alt sind wie er, sind schneller erschöpft. Ein wunderbarer Mensch, wir sind alle froh ihn zu haben!
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
Claus Helmut Drese - Interview mit Anna Mika -08.2008
Die Ursprache von Monteverdi zu entdecken war die Idee
Dr. Claus Helmut Drese (1922-2011), Direktor der Opernhäuser Köln (1968-1975 als Generalintendant der Bühnen der Stadt Köln), Zürich (1975-86) und Staatsoper Wien (1986-1991).
Drese hat den Kontakt zwischen Nikolaus Harnoncourt (NH) und Jean-Pierre Ponnelle (JPP) hergestellt und damit Aufführungsgeschichte geschrieben.
Drese: Wissen Sie, dass genau heute vor zwanzig Jahren Jean Pierre Ponnelle in Tel Aviv bei der Generalprobe „Carmen“ rückwärts ins Orchester gefallen ist und sich dabei die tödliche Verletzung zugezogen hat, an der er am 10.August 1988 gestorben ist?
Der Name Ponnelle ist ganz wichtig, er war ein Öffner der Szene für NH, Federik Mirdita in Ehren.
Und zu Werner Hollweg als Idomeneo: ich habe drei Monate vor seinem Tod noch einen Brief von ihm bekommen, den er diktiert hat, und dann hat man mir sein letztes Interview geschickt. Das ist auch ein Thema, er ist in Freiburg gestorben, an einer Lähmung, eines nach dem anderen fällt aus, eine zunehmende Körperlähmung.
Wie sind Sie drauf gekommen NH und JPP zusammenzuspannen. Mit JPP haben Sie ja schon vorher in Köln zusammen gearbeitet, den Mozart Zyklus in Köln…
…nicht nur Mozart, auch andere Opern!
Ja, JPP war ja damals bestens eingeführt in der Szene, und NH war sowas wie ein Geheimtipp, ganz etwas Neues. Wie kamen Sie auf die Idee, dass genau diese Beiden zusammenpassen könnten?
Es ging ja um Monteverdi, er lag mir seit vielen Jahren im Sinn. Ich habe diese Vorstufen von Monteverdi-Bearbeitungen von Orff und Hindemith mitbekommen, und ich habe die choreografierten Aufführungen von Monteverdi in Wuppertal mitbekommen. Ich habe schon in Köln an Monteverdi gedacht, aber das Haus war zu groß. Und JPP war immer interessiert an Monteverdi. Als sechzehn- oder siebzehnjähriger hat er in Schwetzingen die Bühnenbilder zu Monteverdi-Opern gemacht! Ich hab das damals gesehen, und es war der Ansatz zu meiner eigenen Monteverdi Begeisterung, diese Orff-Bearbeitungen der drei Monteverdi Opern, bei den Schwetzinger Festspielen in den Jahren 1957 oder 1958. JPP war ja zuerst Bühnenbildner. Es gibt in Baden-Baden eine Kirche, die er ausgemalt hat. Es ist eine Garnisonkirche, sein Vater war ja General oder Generalmajor, der Schöpfer des Südwestfunks damals. Seine Jugend hat JPP in Baden-Baden verbracht, da entstanden seine Theaterbeziehung, seine Liebe zum Malen und der Gedanke, Bühnenbilder zu machen. Er hat ja zeitweise in Paris Malerei studiert. Und dann hat er Bühnenbilder gemacht, und dieses Bühnenbild hat mir sooo imponiert, und Monteverdi saß mir im Kopf, aber ich kam dann bald dahinter, dass diese Bearbeitungen, seien sie von Orff oder Hindemith, nicht der Kern dieser Musik waren. Diese Ur-Musiksprache von Monteverdi neu zu entdecken war meine Idee. Und da bin ich gepilgert nach Stockholm zum Festival und gekuckt was die machen, da war auch Monteverdi, das war aber unzureichend. Dann war ich in London und hab Monteverdi in konventioneller Orchesterbearbeitung gehört, auch nicht das Wahre. Und dann kam die Entdeckung: das Spiel mit Originalinstrumenten, der historische Stil! Und dann hörte ich, dass NH diesen Monteverdi mir originalen Instrumenten in Wien gemacht hat, und dass er mit diesem in Amsterdam gastierte. Dann bin ich nach Amsterdam gefahren, und dort habe ich einen Orfeo gesehen. Der hat mir szenisch nicht sehr viel gesagt, aber ich habe g e h ö r t , was da passiert. Da bin ich zu NH gegangen und gefragt, ob er sich vorstellen könnte, das in ZH mit JPP zu machen. Und da hat er so große Augen gemacht und war sofort aufgeschlossen dafür. Dass sagte ich aber, ich müsse zuerst Jean Pierre bekehren, dass der das auch will. Denn er war zuerst nicht ein Anhänger von Originalinstrumenten. Ich habe JPP dann die Bach-Aufnahmen von NH gegeben, Da hat er gemeint, das klinge alles so wie „Kirchenmusik“, diese Organisten habe er nicht so gerne. Das war ein Vorurteil, das hat sich sehr bald…
Dann habe ich die Beiden zusammengebracht, in Köln in meinem Zimmer, sie haben eine Stunde miteinander geredet und ich bin ums Haus herumgegangen und dachte, hoffentlich geht das gut!
Sie haben sie allein gelassen?
Ja, und als ich zurückkam waren sie ein Herz und eine Seele. Es ging wunderbar. Dann haben sie Bedingungen gestellt. Sie würden das zusammen machen, wenn erstens: es nur Musiker mit alten Instrumenten spielen, nicht das gängige Opernorchester Zürich, sondern ein Spezialorchester. Welch ein Problem, ohhh! Welch ein Problem!
Heute wäre das kein Thema!
Zweitens dass wir eine Besetzung finden, die nicht irgendwo zusammengesucht wird, sonder die spezifisch ist. Da brauchten wir einen Orpheus, der das tragen muss! Das war die nächste Arbeit. Duzende haben vorgesungen, und dann kam Philippe Huttenlocher, und der war es und er war der Richtige. Und dann habe ich im Orchester ein oder zwei Leute gefunden, die sich damals schon mit alten Instrumenten beschäftigt haben und gesagt haben: „ich würde gerne…“ Dann haben wir aus dem eigenen Reihen solche genommen die auf dem Weg waren mit diesem Instrumentarium, und die übrigen haben wir von überall her zusammen engagiert.
Auch Musiker aus dem Concentus?
Weniger, selbstverständlich Frau Harnoncourt als Konzertmeisterin, und Elisabeth Harnoncourt (Tochter von NH und Frau Alice) spielte bei der „L‘incoronazione di Poppea“ Blockflöte. Am Cembalo hat gesessen Ivan Fischer, der Dirigent. Nach ihm kam gleich kam Johann Sonnleitner, bei allen Aufführungen einer der wichtigsten Leute.
Unser lieber Verwaltungsrat in Zürich, als ich dem gesagt habe, wir eröffnen die Spielzeit mit Monteverdi, da haben die gesagt, das gibt’s doch nicht, den kennen wir doch nicht! Was soll denn das, und dann noch original, nee!
Da waren Widerstände zu überwinden, aber ich hatte Kredit, einen Startkredit.
Man hat Ihnen vertraut!
Ja, man musste mit einem Paukenschlag beginnen. 1975. Die erste Inszenierung war Fidelio in meiner Regie, mit Hildegard Behrens als Leonore und Swoboda (?) als Bühnenbildner. Musikchef war damals Ferdinand Leitner. Monteverdis „Orfeo“ kam im Dezember. Leitner hatte ich vorgefunden, mit dem wars nicht immer leicht, es war einer der ganz „Orffisch“ war, ganz auf Carl Orff eingeschworen. Es gibt ein Buch mit allen Briefen zwischen ihm und Orff, und er war sozusagen der Taufpate aller späten Orffwerke in Stuttgart. Als der hörte, es würde nicht der Orff’sche Monteverdi, Mammamia!!!
Harnoncourt hat das ja alles selber aus der Handschriften neu erarbeitet, es war s e i n e Instrumentation.
Ja, die habe ich in der Hand gehabt. Er hat mir sein Original geschenkt, und dann hat er mir’s wieder abgenommen. Hat gesagt: er braucht es so dringend, kann’s doch nicht hergegeben. Dafür habe ich dann die Originalausgabe sämtlicher Beethoven’scher Dialoge von ihm bekommen, die Konversationshefte.
Dieser Anfang mit Monteverdi hatte bei mir also die lange Vorlaufzeit von den Schwetzingen Aufführungen und der Bekanntschaft mit Ponnelle.
Wissen Sie, wer das schon machen wollte? István Kertész. Ich habe in meiner Zeit drei große Musikgenies gehabt, Kertész, ich habe ihn ungeheuer geschätzt, ein sprühender Geist, mit stets neuen Ideen, eine davon war Monteverdi. Aber nie bei ihm mit alten Instrumenten. Der hat ja aufregende Sachen gemacht, die Urfassung des Boris Godunow, Chowanschtschina….
Schubert Opern wollte er machen und Haydn. Das war alles schon im Gespräch, eine Haydn Oper haben wir gespielt.
Und Istvan hat gemeint, er brauche einen szenischen Partner und das können nur Ponnelle sein. Und dann bin ich zu JPP und versuchte ihn zu bekommen. Er war ja damals Schauspielchef in Düsseldorf, seine ersten Opern hatte er kurz zuvor gemacht, da war noch nicht viel Oper bei ihm.
JPP hat angebissen, und das war die erste Partnerschaft, Istvan und er.
Die zweite war dann JPP und der große Nikolaus, Nikolaus der Große! (schmunzelt)
und Nummer drei ist Claudio Abbado. Mit ihm hatte ich viel Gedankenaustausch, auch zu dritt mit Luigi Nono, wir haben geplant, was man an Modernem machen könnte. Ich war in der Uraufführung der „Ulisse“ – Oper von Nono.
Und der große Mittelteil meiner Schaffenszeit überglänzte alles, was da leitnert und weikert, nämlich Nikolaus Harnoncourt mit Monteverdi und dann mit Mozart.
Katia Mann war bei Orfeo, da reicht eine Epoche der anderen die Hand.
Nicht bei der Premiere, aber in einer Aufführung. Sie wohnte unterhalb uns in Kilchberg.
Mit „Orfeo“ ist wirklich eine wichtige Epoche der Interpretationsgeschichte angebrochen, und die Wiederentdeckung der Anfänge der Oper. Das hat NH klar erkannt. Im Jahre 1607 hat die Oper begonnen, ziemlich genau vor 400 Jahren!
NH wohnt ja auch in Kilchberg!
Ja, weiter oben, ich habe ihm ja den Tipp für sein Haus gegeben.
Orfeo und wie durch die Klang-Rhetorik das Sprechen, das Wort wichtig wurde…
Ja, und wie die überreiche Polyphonie umgekippt ist in die Schlichtheit der Monodie…..
…und die Vielseitigkeit der Orchesterbegleitung, die Instrumente, wie das zuerst mit den Fanfaren und Trompeten war, weil der Fürst halt nur die Militärmusik hat, und dann nachher die Cembali und Theorben…..
Und Sie wollten sofort alle drei Opern von Monteverdi, die noch erhalten sind, spielen?
Ja, es folgte „Ulisse“, und dann „Poppea“, und dann als Nummer vier das „Achte Madrigalbuch“.
Orfeo Dezember 1975,, am 8.Januar 1977 Poppea, 12. November 1977 Ulisse, Juni 1979 Madrigalbuch mit „Ballo delle ingrate, und Combattimento, beides als Zentrum, und dann in der Umbauzeit der Zürcher Oper die Marienvesper im Frauenmünster. Die hat er später im Salzburger Dom gemacht, wunderbar die responsorische Aufstellung. So fing es mit Nikolaus an….
Und dann kamen doch diese ganzen internationalen Einladungen?
Das sage ich Ihnen der Reihe nach; (liest von seinen Aufzeichnungen): Hamburg, Wien, Edinburgh, Berlin, Scala di Milano, dort war mein erster Kontakt mit Abbado. Er hat in Edinburgh den Monteverdi gesehen und war so begeistert, dass er ihn als damaliger Maestro der Scala dorthin einlud. So ist mein Kontakt mit Abbado entstanden.
Wie doch eine Sache der anderen die Hand reicht!
Ja, und dann kamen München, Wiesbaden, dann waren noch konkrete Einladungen nach New York und Japan, doch wir haben gesagt: Schluss jetzt. Das letzte Gastspiel war 81.
Und dann die Verfilmungen…
Die waren 1980, die gibt es im Handel.
Diese wurden lange von Karajan zurückgehalten, wissen Sie davon?
Konkret nicht, aber NH und Karajan sind sich so fremd, Karajan hat mit der Alten Musik ja garnichts am Hut, keinerlei Interesse. Das sind zwei verschiedene Welten.
Die Zürcher Oper wurde in dieser Zeit ein internationales Haus, nicht wahr?
Es hat auch zuvor dort bemerkenswerte Dinge gehabt, Lulu, Hindemith, Martinu. Das Haus hatte zwei Seiten, einerseits, auch durch meinen Vorgänger waren sie gebunden an die lokale Tradition des Repertoires und der Operette, zwei bis drei Operettenpremieren pro Jahr! Lehar war während des dritten Reichs in Zürich! Jedoch war man auch hellhörig für das Neue, man hat die neuen Sachen sehr bald nachgespielt, ob das nun Orff, Eck, Hindemith, Reimann… war. Alles wurde sofort nachgespielt. Heute gibt s das nicht mehr, sehr schade!
„Neugier“ und „Altgier“, die Diskussion muss lebendig sein.
Sprechen wir über den Mozart-Zyklus, bitte!
Ich hab ja in meinem Leben drei Mozart Zyklen gemacht, und der Kölner war mir noch im Ohr, daher war ich von der Idee eines neuen Mozart Zyklus in Zürich nicht sehr begeistert.
Ich wollte Vivaldi und dann Händel, das waren meine Vorschläge, Vivaldi war doch für alle seine Zeitgenossen sehr wichtig, bis hin zu Bach. Und er hat ein Duzend Opern geschrieben. Wir hatten ein Sonderkomitee, das Vivaldi studierte, doch es wurde nichts. Händel war auch zur Diskussion, aber das wollte JPP nicht so gerne. Nikolaus meinte; wir werden nicht ewig alt, also machen wir doch Mozart.
Obwohl wir Neuinszenierungen von Mozart im Spielplan hatten. Dann hatten wir begonnen mit den Jugendopern.
Aber sie spielten nicht alle Jugendopern?
Nein, nicht alle. Erst war „Lucio Silla“, 1981, dann „Mitridate“, dazwischen „Idomeneo“ – Nikolaus’ Leib und Magenstück. Jetzt war das ja in Graz, ich hab ihm sehr intensiv zu Spoerrli fürs Ballett geraten.
Es war ja so: JPP hasste Ballett, das liegt an seinen Anfängen. In Wiesbaden hatte er damals zwei Ballette mit Henze gemacht, was schiefging. Daher hatte er eine Aversion gegen Ballett. Nikolaus wollte damals schon nachdrücklich das Ballett für die Schlussszene des „Idomeneo“, JPP sagte: Ballett bei mir nicht. Sie haben sich dann geeinigt das Nachspiel, die Chaconne, zu machen, doch JPP wollte es nicht inszenieren. Er ließ sämtliche Beteiligten an die Rampe kommen, wie zu Schlussapplaus, und alle haben dem Harnoncourt zugeklatscht.
Denn hier dominiert die Musik, das muss die Musik alleine tragen, und das ist Nikolaus, „Nikolaus Mozart“ (!!!). Das war ein unbefriedigendes Ergebnis! JPP hatte noch seinen Kölner „Idomeneo“ in Erinnerung. Es war geplant mit Kertesz, doch Kertesz war grade tot, drei Monate vor der Idomeneo-Premiere war er ertrunken – im Mittelmeer. Und „Idomeneo“ ist ein Meeresstück!!!
JPP hat “Idomeneo” in Zürich ganz ähnlich wie in Köln gemacht.
Und dann kam die Umbauzeit, die Zürcher Oper wurde umgebaut. Eine wunderbare Zeit für mich, denn ich habe die ganze Stadt zur Oper gemacht. Kirchen, Stadien, Plätze…
Auch mit Nikolaus, es gab „Saul“ in einer Fabrikhalle, also ein Oratorium von Händel szenisch. Wir haben eine Seite der Halle im Rechteck benutzt, und den Chor so aufgestellt, davor im Dreieck gespielt, und das Orchester davor gesetzt. Dahinter in breiten Reihen das Publikum: 500-600 Menschen. Ein Riesenerfolg. Es war meine Idee „Saul“ zu machen, warum? Weil mir eine Saul-Inszenierung aus Mannheim in Erinnerung war, aus uralter Zeit mit Mary Wigman als Choreografin, ich war damals Assistent, das war1955. Das hat uns so imponiert, dass man ein Händeloratorium szenisch-pantomimisch umsetzen kann. Das hab ich im Kopf, dass wenn man mal kein Theater zur Verfügung hat, kann man das auf diese Art neu erfinden. Nikolaus hat voll mitgetan, und es da dirigiert.
Und dann ging der Mozart weiter mit „Die Entführung aus dem Serail“ und „Cosi fan tutte“. Und dann kamen nach meiner Intendanz „Die Zauberflöte“, dann „Don Giovanni“, Ponnelles letzte Inszenierung, aufregend, denn Don Giovanni endete da durch einen Schlaganfall. Das war auch in Salzburg so. Er hat sich übernommen mit all den Frauen. Nicht der Teufel, von außen hat ihn geholt, sondern der Teufel, der Dämon, steckt in einem selber. Das hat schon was, und es war als ob JPP seinen eigenen Tod vorausgeahnt hätte, das war im Todesjahr.
Harnoncourt sagte damals bei dieser Gedenkaufführung am 25.Januar 89 in seiner Rede folgenden Satz:
Ponnelle hat gesagt: bei Monteverdi bin ich in Deiner Straße gegangen, bei Mozart musst Du in meiner Straße gehen. Können Sie da etwas dazu sagen?
Es ist sicher so, dass Ponnelle ja eine große Mozart-Erfahrung mitbrachte, das sehen Sie am „Idomeneo“, den brachte er aus Köln, auch die „Entführung“, mit der Idee des Bassa als Joseph II, zauberhaft. Auch sein „Giovanni“. Der Kölner Mozart Zyklus war an die zwanzig Jahre in Spielplan, als Festspiel im Juni, jedes Jahr. Mit wechselnden Besetzungen und Dirigenten.
Ponnelle hatte ja auch Mozart in San Francisco gemacht, und nach Harnoncourt mit Barenboim in Berlin, und auch diese wunderbare „Zauberflöte“ in Salzburg, hinreißend. Drum wohl sagte Ponnelle zu recht: ich habe die große Erfahrung, und Du bist ein Neuling. Während Monteverdi hatte Nikolaus schon gemacht, JPP noch nicht. Da gebe ich Nikolaus völlig recht.
JPP war ja ein versteckter Musiker, hätte ohne weiteres mit ein wenig Einführung auch dirigieren können, natürlich nicht jede Musik. Da war das Großartige an Ponnelle, er war ein gelernter Maler, ein gelernter Bühnenmensch durch die Regie, und dazu ein hochmusikalischer, und außerdem perfekt in drei Sprachen, gebürtiger Deutscher, fließend Französisch, Italienisch und Englisch. Der sprach mit jedem in seiner Sprache. Eine Theaterpersönlichkeit wie Ponnelle muss man sehr suchen.
Bei Ponnelles Tod waren Sie ja schon in Wien?
Ich bin 1986 nach Wien, dort machte der Ponnelle noch Rossinis „Italiana in Algier“
Nach Ihnen kam Christoph Groszer nach Zürich,
Ja und der hat den Mozart-Zyklus weitergeführt. Es kam „Die Zauberflöte“. Mit Nikolaus wurde in Zürich auch noch Händels „Julius Cäsar“ gemacht, ein Gastspiel aus Wien.
Wahrscheinlich haben Sie den Zürcher Mozart Zyklus weiter verfolgt?
Ja das habe ich, der ist ja dann leider…
„Figaro“ kam dann aus Salzburg, diese Festspielaufführung aus Ponnelles Hand…
…ja und dann haben sie drangehängt diesen „Titus“, den hat John Dew gemacht. Ich fand ihn schrecklich, das war nix! Und das hat uns ins Gespräch gebracht, und wir haben gesagt dass wir das irgendwann besser machen wollen.
War NH auch nicht zufrieden mit diesem Titus?
Nein, das passte ihm gar nicht!
Das habe ich mir gedacht, denn ich war in den letzten Proben, und so grantig habe ich ihn nie zuvor und danach erlebt.
Eben das passte ihm nicht, diese Aktualisierung und diese intime Konzeption. Deshalb kam das so, das war meine Wiener Zeit, ich wollte es in Wien, ursprünglich mit Ponnelle und ihm. Das kam nicht dazu….. ( Drese sagt das alles ganz jammernd). Ach!
Aber ich muss noch mehr zu Wien sagen. Zuerst kam „Idomeneo“. Wir wollten wieder auf einem Mozartzyklus zugehen. Mein dritter Mozart Zyklus, diesmal mit verschiedenen Regisseuren, obwohl Ponnelle ja damals noch lebte.
Waren alle Mozart Opern geplant?
Immerhin acht, „Lucio Silla“, „Idomeneo“….
Es kamen ja in meiner Wiener Ära ein wunderbarer „Figaro“, aber ohne ihn, und ein wunderbarer „Giovanni“, aber ohne ihn. Denn es gab ja noch einen Claudio Abbado und der sagte: ich will auch Mozart machen. Aber er hat sich beschränkt auf diese beiden Opern.
War der „Figaro“ von Jonathan Miller inszeniert?
Genau! Der war sehr gut, dieser Realismus! Im Theater an der Wien. Ein paar kleine Schönheitsfehler.
Noch besser war „Giovanni“, mit Luc Bondy, ein Schwieriger, Schwieriger, aber am Ende brillant! Und etwas vom Besten von Abbado, er war in Hochform.
Also diese beiden Opern hatte sich Claudio reserviert, alles andere durfte Nikolaus machen.
Abbado hat ja ein wesentlich breiteres Repertoire!
Ja, „Wozzeck“ als Erfolg in Wien, kaum zu glauben! „Pelleas und Melisande“ von Debussy, Verdi, Mussorgskis „Chowanschtschina“…Und dann Rossini, das ist ja was, was Nikolaus nicht mag, gar nicht.
Ja, und auch Gluck mag er nicht!
Da tut er dem Gluck unrecht, den sollte er mal genauer lesen. Ich hab die „Iphigenie in Aulis“ gemacht, da ist so viel Psychologie drinnen, und eine unglaubliche Dramatik, sehr wohl! Da sieht er einen Schritt zu kurz.
Und Schuberts „Fierrabras“, das war Abbados Entdeckung, und er wollte das. Da war es garnicht einfach, einen Regisseur dafür zu finden. Dann wurde es Ruth Berghaus, verrückt, aber aufregend!
Der Nikolaus hat in Wien gemacht: einen hervorragenden „Idomeneo“, m i t Schlussballett, sehr bemerkenswert.
Also wirklich mit Tanz!
Ja, und zwar psychologisch motiviert. Wir haben dabei die Krönung des jungen Paares gespielt. Erst träumen sie davon, dann wird es Realität. Die ganze Schlussmusik ohne Kürzung.
(Drese hat schon bei einem Telefongespräch gemeint, dass er etwas gekränkt ist über NHs Aussage, das sei noch nie richtig gemacht worden, denn in Wien sei es seiner Meinung nach schon „richtig“ gewesen, Anm.)
Jetzt in Graz wurde es anders gedeutet. Er sagte in der Schlussrede des Idomeneo seinen so viele Dissonanzen, und da passierte ein Zeitsprung, für ihn. 1000 Jahre sind dazwischen und es kippt in eine utopische Zeit. Es wurde zu einer überzeitlichen Vision, ein Fest in einer utopischen Zeit, eine freudige Vision.
Aha! Ja in Wien hatten wir keinen Zeitsprung, sondern es wurde sozusagen im Traum realisiert. Die beiden saßen an der Rampe, hatten die Hände vor den Augen und träumten, Und dann war der Traum zu Ende, das ganze Ballett war da und es wurde Wirklichkeit: die Inthronisation des neuen Königspaares wurde gezeigt. Und dann hatte diese Wiener Aufführung dieses grandiose Bühnenbild, dieses Ungeheuer was da einbricht, da wuchs ein gewaltiges Monstrum aus der Bühne heraus, und es wuchs und wuchs und war am Ende etwas wie eine Maske. Die ganze Bühne war ein Berg im Licht, eine unwahrscheinliche Vision. Und was noch aufregend war: der berühme Todeschor wurde vom dritten Rang aus, hinten oben, gesungen. Nicht auf der Bühne. „O voto tremendo“ klang im ganzen Haus, fabelhaft. Und am Ende saß die Elektra in der Intendatenloge und sah dem Ganzen zynisch zu. Diese Inszenierung war voller großer Ideen und intensiver Lösungen.
Harnoncourts erster Staatsopernauftritt, und er hatte Riesenerfolg. Auch das Orchester hat toll mitgemacht.
Sie müssen wissen, NH war berüchtigt, hatte nach Meinung Einiger in der Staatsoper nicht zu suchen.
Das wollte ich fragen! Ich weiß von Philharmonikern, dass da offene Widerstände waren. Das Problem mit den Proben…
…. und dem Wechsel der Dienste. Da sitzen bei der Aufführung 40 Musiker, und dreißig davon hatten keine Probe.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Na ja, diplomatisch. Und mit Geld, ich hab die Proben bezahlt, extra, deshalb hatte ich dauernd Geldprobleme, die hatten mich erpresst. Bei der „Zauberflöte“, der Wiederaufnahme, hat sich das Orchester geweigert, eine Probe zu machen. Nikolaus hat auf zwei Proben bestanden. Was war das für ein Kampf, ich hab mir alle Philharmoniker zu Feinden gemacht! Schließlich habe ich die zwei Proben bezahlt. Und als dann die Vorstellung kam, da saßen im Orchester zum Teil Leute, die diese Proben nicht gemacht haben. Und in der zweiten, dritten, vierten… die Hälfte hatte nicht probiert. Nach dem Wiener Motto: Was der da dirigiert wissen wir nicht, wir spielen die „Zauberflöte“ von Mozart.
„Zauberflöte“ war die nächste Oper, ich suchte einen Regisseur, NH hatte auch Vorschläge, weiß nicht mehr wen. Und dann kam von allen Seiten: das ist doch ein wienerisches Stück, das muss man doch von einem Wiener machen lassen. Und da bin ich auf die unglückliche Idee gekommen, den Otti Schenk zu fragen. Und der biss an, und Nikolaus akzeptierte ihn. Gut und schön, doch er brauchte einen Bühnenbildner. Ich hatte in New York die Aufführungen mit Chagalls Bühnenbildern gesehen, und ich meinte, das wäre doch eine Idee, einen Wiener Maler zu fragen, Hundertwasser war die engere Wahl. Doch Schenk sagte dazu nur: Nein. Schließlich hatten wir jemanden, der von auswärts kam: Yannis Kokos, das war relativ gut, doch die ganze Aufführung war wischiwaschi.
Wobei die Zürcher „Zauberflöte“ Ponnelles auch nicht das Gelbe von Ei war. Die stärkste „Zauberflöte“, die JPP je gemacht hat, war die in Salzburg, in der Felsenreitschule. Wenn er aber den Raum sich selber schaffen muss, fängt er an verrückt zu spielen. Es kamen Dinge heraus die nicht so gut sind. Z.B. dass der Chor ums Orchester herumläuft.
Die Inszenierung befindet sich jetzt in China (meines Wissens Shanghai, Anm.)
Sogar von der Presse wurde die Zürcher „Zauberflöte“ verrissen, auch NH kam nicht gut weg.
Die Wiener Zauberflöte also war nicht gut. Für NH war es eine depressive Phase…
… das schildern Sie in Ihren Buch „Palast der Gefühle“.
Und dann kam die Sache mit den Herrmanns. Ich bin damals mit Nikolaus nach Berlin gefahren und habe versucht, ihn und die Herrmanns zusammenzubringen, damit sie sich auf ein Konzept für die Entführung einigen. Zunächst sah es gut aus, NH saß immer in der Ecke und hörte sich an, was die Herrmanns schwätzten, die hatten die Idee, den gesamten Text zu bringen. Das dauert dann drei oder vier Stunden, es hörte nie auf. Und das ärgerte den Nikolaus, aber die beiden sagten: „Aber bitte, das ist doch die originale „Entführung“ von Mozart. So ist das von ihm, und es ist ein Singspiel, und das Schauspiel war damals sehr wichtig.“ Und das musste sich NH mit ansehen und –hören. Sechsmal! 1989. Im Dezember 1989 kam die „Cosi“, mit Johannes Schaaf, derselbe, der „Idomeneo“ gemacht hat….
….und in Zürich mit NH die „Aida“.
Die beiden verstanden sich gut. Die „Cosi“ wurde dann nach London exportiert.
Und dann war „Titus“ auf dem Plan, und da sagte Nikolaus, er will mit mir ein eingehendes Gespräch, es gäbe Probleme, das Orchester, das wechselt, und so. Und da sind wir auf den Julierpass, haben uns da getroffen zu einer Tour, drei Stunden rauf, zwei runter, und er hat mir sein Herz ausgeschüttet (das beschreibt Drese ausführlich in seinem Buch „Der Palast der Gefühle“, Anm.), und am Ende sagte er: „ich mache es nicht“.
Er hat den „Titus“ abgesagt, ich musste mir einen anderen Dirigenten suchen, und auch bei „Lucio Silla“. Das waren die geplanten Mozarte meiner Wiener Zeit, und vor den beiden letzten hat er sich gedrückt. Sich bezogen drauf, dass die Verhältnisse nicht so sind.
Warum das alles? Ich verstehe vieles so, dass er auch mit der Wiener Mentalität seine Probleme hat. Aber Frau Alice ist Wienerin, und er ist ja mit dem Concentus dort. Das klingt ja wirklich nach einer psychosomatischen Kränkung.
Ich zitiere: „Die Wiener sind wie Sumpfpflanzen, die Verwesungsgeruch brauchen, um ihre Kreativität zu entfalten. Kennen Sie den Satz?
Nein, ist der von Karl Kraus?
Nein, von Nikolaus, der ist aus dem Buch! Den hat er in einem Interview gesagt. Er hat sich ja oft über Wien geäußert, der Totengeruch, diese Dunstschicht, alle reden vom Sterben. Er sieht die Schlamperei, die Unzuverlässigkeit, dieses jajajaja und dann doch nicht. Dann Animositäten, Vorurteile, diese schreckliche Wiener Presse, die ihn immer geärgert hat, wo er immer drüber schimpft. Er hat ja dann nichts mehr gelesen, aber wenn so etwas geschrieben wird, bildet es die Meinung.
Und dann müssen Sie wissen, es gibt in Wien eine Majorität und eine Minorität. Die Majorität ist urkonventionell, hängt über Jahrzehnte in Traditionen und Vorurteilen. Und heute noch ist Karl Böhm der Größte, und sie trauern dem Karajan nach, obwohl sie die beiden auch rausgeschmissen haben. Und sie schreien Buh und pfeifen, wenn etwas anders ist als die Konvention. Eine der beliebtesten Inszenierungen in Wien ist die Tosca, die fünfzig Jahre alt ist – so ähnlich.
Aber es gibt diese Minderheit, die Jungen, die Studenten, und mit diesen Leuten hat Nikolaus seinen Concentus aufgebaut. Aber dass der im Musikverein den Abozyklus hat, war zu meiner Zeit noch nicht, das ist noch nicht lange, das hat er sich hart erarbeiten müssen.
Als NH zum ersten Mal in der urkonservativen Atmosphäre der Staatsoper auftauchte, war er ein Fremdkörper, verdächtig.
Bei Ioan Hollender gab es keinen NH.
Es gibt ja jetzt nach meiner Anregung endlich das Theater an der Wien, da habe ich ja Mozart gespielt. Da bin ich ja zum Minister ins Bundesministerium, um das Theater an der Wien für Mozart und Barockopern zu bekommen. Die meinten: Was brauchen wir Barockoper, allenfalls wollen wir mal einen Gluck! Händel hat doch nichts in der Oper zu suchen!
Und nun hat das Theater an der Wien eine eigene Direktion, und nun geht es. Da kann ich sagen; Bravo! Da gehört NH hin, außer er macht Wozzeck….
Was denken Sie zu seiner jetzigen Tätigkeit, Kušej und so?
Da habe ich eine Distanz, da versteh ich ihn nicht. Er sagt, dass für ihn nur gilt, was im Text und in den Noten vom Komponisten her ist. Und dann passieren auf der Bühne Sachen, die durch nichts zu begründen ist. Und da frage ich mich: was stimmt da nicht? Ist er dem Regisseur zum Opfer gefallen? Springst Du über Deinen Schatten? Willst Du Dich neu präsentieren? Da gibt es für mich echte Fragezeichen.
Wobei ich seine Ansichten sehr ernst nehme und sehr genau hinhöre wenn er z.B. sagt, dass in der Zauberflöte E-Dur die negativste Tonart bei Mozart ist, und das ist die Tonart des Sarastro. Beim ganzen Mozart gibt es kein E-Dur, nur der Sarastro hat die mit der zweiten Arie („In diesen heilgen Hallen..“) das deutet er negativ, oder als Machtlust….
…oder Schönreden
…oder Phrase. Aber es ist der Mächtige, der seine Anschauung durchsetzt. Aber Mozart war doch auch ein überzeugter Freimaurer hat sechs große Sachen für diese komponiert, und das noch bis zwei Wochen vor seinem Tode, das kann man mir nicht wegreden. Das Buch von Jan Assmann, dem Ägyptologen, hab ich auch gelesen, ein großer Experte… Freud ist auch auf diesem Wege.
Da sehe ich Probleme. Das Musiktheater ist zum reinen Regietheater geworden und das Regietheater ist eine Novitätenshow. Wenn ein heutiger Regisseur den Auftrag bekommt, den „Figaro“ zu inszenieren, dann sagt er zu seinem Dramaturgen: wer hat den zuletzt inszeniert? Und wo war das, und wie war das? Bitte Bilder und Presse. Und dann muss er etwas Neues machen, da meine ich mit dem Novitätenproblem. Und das dürfte Nikolaus nicht mitmachen.
Das Erstaunliche beim Grazer „Idomeneo“ war, dass er ziemlich konventionell war. Da war überhaupt nichts Provokantes. Und ich habe mir gedacht, aha, so willst Du es wirklich!
Das ist seine Natur!!! Und deshalb sage ich Ihnen, manchmal kuckt er nur in die Musik, und es kuckt garnicht was auf der Bühne geschieht. Das ist seine Welt, er sieht die Musik und kapiert nicht was sie oben tun.
Er m u s s in seiner Welt leben!
Das muss er tun, er ist ein Gigant auf seinem Gebiet, ungeheuerlich. Und seine große interpretatorische Begabung, dazu sein Geist und sein Witz, seine Sprachfantasie, was da beim Proben alles aus seinem Mund kommt….
Er ist ständig am Interpretieren, am Noten lesen…
Wenn ich sein Weltbild erfrage, und aus gelegentlichen Äußerungen schließe, dann ist das urpessimistisch. Das schreibt und sagt er immer wieder und wieder: wenn es so weiter geht mit der Kunst, der Musik der Literatur, so gehen wir in den Abgrund. Solche Sätze wie „Die Menschenwelt ist zu Ende“, die können fallen.
Und wenn das so ist (mit starker, fast überschlagener Stimme): dann darf er das nicht machen!!! Dann muss er sich wehren, muss er bei dem bleiben was in ihm gewachsen ist, lebendig ist. Und was er auch immer sagt, das darf dann auf der Bühne nicht widerrufen werden, nur weil da Modernismen drinnen sind, für die ihn irgendein Regisseur um den Finger gewickelt hat.
Er müsste bestimmte Dinge auch hier verweigern, was er bei anderen Dirigenten lauthals tut.
In seinen ganzen Büchern steht auch nichts über die Regie. Wenn sie es genau lesen. In seinem letzen Buch („Töne“), da steht so gut wie nichts. Der Hintergrund, sein Verständnis, alles, nur keine Regie!
Vielleicht interessiert es ihn letztlich nicht?
Sie haben recht (eindringlich)!!!! Nur einer hat ihn dazu gebracht dass es ihn interessiert, mit dem war er auf der Bühne wie ein Regisseur. Jean Pierre hat immer gefragt, wie kann ich da machen, sie haben gemeinsam inszeniert,
Mir wurde erzählt, dass es auch bei Flimm so war.
Ja das kann stimmen. Der Flimm ist musikalisch so unsicher. Also zum Flimm muss ich sagen, diese neue „Poppea“, die war ja furchtbar!!!!! Dieses Schafzimmer, diese Treppe, diese Putzfrauen, der ganze Quatsch! Das war unmöglich, da stehe ich Kopf.
Der „Ulisse“ (Klaus Michael Grüber), der hatte gute Momente, und am Ende war’s gut.
Ich habe das geliebt, da habe ich das griechische Licht gesehen, diese Götter als Farben, das Gefühl Griechenlands!
Da habe ich auch gut mitkönnen, ja, aber die „Poppea“ war das Letzte.
Aber haben Sie Flimms Salzburger „Poppea“ gesehen?
Die habe ich gesehen! Die war besser, die war ganz gut. Aber sehen Sie, da hat Herr Flimm gesagt, ich kann das nicht nochmals so wie in Salzburg machen. Für mich ist es ein wirkliches Gesetz, was man für unsere Zeit ganz ernst nehmen muss:
Wir dürfen unser historisches Bewusstsein nicht verlieren. Die Kultur, die entstanden ist und weiter gewachsen ist in uns, die kann man nicht verkaufen, verraten, verschenken für Novitäten um des Geldes, des Wachstums willen. Alles ist heute Verkauf, Konsum. Und so wird auch die Oper konsumiert und verkauft und weggeschmissen. Jeder fragt: was lässt sich verkaufen. Und man fragt nicht nach dem gewachsenen Bewusstsein für das was war und was uns weiterleben lässt.
Nicht dass ich das historisierend meine, aber ich muss das Gewachsene respektieren. Und das Wort und die Note wörtlich nehmen, so spricht Nikolaus Harnoncourt.
Ich habe das Gefühl dass diese Neuigkeitengier in der Oper daher kommt, dass wir keine oder zu wenige neue Opern spielen, dass wir das Alte immer wieder neu aufbereiten müssen. Und letztendlich nehmen wir die alten Werke nur noch als Folie für unsere eigenen Ideen.
Vollkommen richtig! Und wissen Sie was ich dem Nikolaus noch wünsche: er soll nach Bayreuth eingeladen werden und in Bayreuth den Tristan dirigieren.
Ist sowas geplant?
Ich weiß es nicht. Die neue Chefin in Bayreuth, die Eva Wagner-Pasquier, die kenne ich gut, wir haben uns erst neulich in Zürich unterhalten. Der könnte man das sagen und die hätte ein Ohr dafür.
Und denken Sie, er würde das machen?
In diesem Buch steht an ein paar Stellen: Tristan reizt mich!
Er hat’s ja schon einmal in Graz konzertant in Ausschnitten dirigiert.
Na also!
Ich habe neulich in Graz eine Musikerin kennengelernt, eine gute Bekannte von Erich Höbarth, die hat fest behauptet, er würde demnächst Tristan in Bayreuth machen.
Sehen Sie, es liegt in der Luft! Wenn ich in Bayreuth mit Eva Wagner zusammen wäre, so würde ich sagen: mache es. Nikolaus braucht diese Erfahrung.
Ich glaube schon, dass das gehen würde, speziell die Phrasierung….
Ich habe den Tristan dreimal inszeniert, immer mit großer Leidenschaft. Zum ersten Mal völlig abstrakt, dann mit Swoboda, Goethes Farbenlehre in Verbindung zur Musik gebracht. Die Themen der Musik identifiziert mit Farben, aufregend, ein großer Erfolg. Zuerst Wiesbaden 1965/66 und dann verbessert in Köln 1970/71.
Und dann habe ich es in Zürich gemacht und war vom Zürcher Wagnergeist gepackt und hab’s historisiert. Ich habe in Zürich acht Wagneropern gemacht. Den „Ring“ mit Ul de Rico, in vier Zeitaltern, Urzeit, frühe Vorgeschichte, germanische Zeit, Gegenwart. Leider wurde er nicht so oft gespielt. Jeder neue Intendant will seinen Ring machen.
Als Schlusswort gemeint: Aus allem geht hervor, dass ich mit Nikolaus sehr intim befreundet bin, trotz mancher Meinungsverschiedenheiten, das spielt gar keine Rolle. Und wenn er in Zürich ist, laden wir uns gegenseitig ein. Und wenn Geburtstag ist, so kommen wir hin. Und die Tragödie mit dem Sohn, die habe ich auch mit bekommen.
Er hat in meiner Intendanz elf oder zwölf Werke dirigiert, aber was danach noch alles gekommen ist: Schubert Haydn, Offenbach (!!!), das finde ich so sympathisch, den liebe ich, den Offenbach!
Ich komme da nicht mit, das war das erste, wo ich nicht mit Harnoncourt mit konnte.
Wissens Sie was er sagt: Offenbach war Mozart des 19.Jahrhunderts.
Die ungeheuere Bissigkeit…..
Kritik an der Gesellschaft, dem Kapitalismus, das muss so sein!
Ich bin durch Köln an Offenbach gekommen, der kommt aus Köln.
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
Vesselina Kasarova - Interview mit Anna Mika -11.2008
Singen und Darstellen sind eine Einheit
Frau Kasarova, Sie haben von Ihrem ersten Anfang an mit Nikolaus Harnoncourt zusammen gearbeitet. Ich erinnere mich an John Dews Inszenierung von Mozarts „Titus“ im Jahr 1990, in dem sie den Annio gegeben haben.
Richtig, ja!
Da waren sie noch sehr jung!
Lassen sie mich rechnen, jetzt bin ich 43…
Diese Inszenierung war ja speziell, wie war die Zusammenarbeit mit Dew, mit Harnoncourt?
Mich hat diese moderne Inszenierung nicht erschreckt, es war eine sehr schöne Regie, und ich war nie eine Sängerin, die sich vor einer Regie geschreckt hat.
Auch nicht bei Martin Kušej? Wir kommen da noch später drauf!
Nein, nein, überhaupt nicht! Ich liebe Theater. Ich singe, weil ich spielen kann, bin eher eine Schauspielerin als eine Sängerin. Das ist für mich überhaupt keine Mühe. Es gibt wenige Sänger die das mögen, die meisten singen, weil sie singen wollen, für mich gehört beides zusammen.
Harnoncourt, ja, man kann viel über ihn sagen. Was mir ganz wichtig ist: ich habe mit allen Dirigenten der Welt gearbeitet, nur mit einem oder zwei nicht, jedoch mit den bedeutendsten. Es geht aber nicht um die Bedeutung, wir wissen wie es läuft. Es gibt zurückhaltende Künstler, seriöse Künstler, und so einer ist Nikolaus Harnoncourt. Er hat sich auch nie so bei der Presse präsentiert wie andere. Worin er sich von den anderen Dirigenten unterscheidet, ist, dass er die Sänger mag, nicht nur in seinen Worten, sondern echt. 2009 ist mein 20.Bühnenjubliläum, aber noch nie – oder vielleicht fast nie – hat ein Dirigent zum Orchester gesagt, sie sollen den Sängern zuhören. Fast keiner außer Harnoncourt.
Fantastisch!
Nicht nur einmal, und egal bei welchem Orchester, Wiener Philharmoniker, Chamber Orchestra of Europe oder Concentus Musikus Wien. Ich habe das Bedürfnis die Wahrheit zu sagen, nicht einfach schöne Worte. Harnoncourt ist einer, der wahnsinnig viel weiß. Was ich von ihm alles gelernt habe,…. ja, ich bin ja auch Instrumentalistin…..
…..Pianistin, nicht?
Ja, und darum denke ich auch instrumental. Die Pausen, die es gibt, die bedeuten etwas: nimm Dir Zeit! Das hat mit Harnoncourt beigebracht, und dass überhaupt jede Note eine Bedeutung hat. Und es ist ganz wichtig dass man den richtigen Ausdruck und die richtige Farbe in der Stimme findet. Eigentlich dachte ich schon immer in diese Richtung, und er hat es mir bestätigt. Rein intuitiv habe ich immer so gedacht. Man braucht als junger Sänger ein gutes Umfeld, und wenn man die Chance hat… Bei Harnoncourt geht es nie ums Brüllen, um eine brutale, unästhetische Weise – Ästhetik ist relativ, aber wenn die Ästhetik stimmt, stimmt der Ausdruck!
Wie war die Arbeit mit den anderen Sängern damals? Ann Murray war ja der Sesto?
Ann ist und bleibt für mich eine wunderbare Sängerin, sie ist eine echte Persönlichkeit, als Mensch und Künstlerin. Unvergesslich, so jemanden trifft man nicht jeden Tag.
Mit Harnoncourt konnte ich sehr viele schöne Rollen erarbeiten
Genau! Das Buch wird nach Opern aufgebaut sein, ich würde sehr gerne mit Ihnen die einzelnen Rollen, die Sie mit ihm gesungen haben, durchgehen. Gerne also Annio und Sesto.
Das sind Beides wunderbare Rollen! Stimmlich anspruchsvoll, gefühlvoll! Überhaupt will ich zu Mozart sagen: für mich sind „La Clemenza di Tito“ und „Idomeneo“ sehr intime Stücke, feinsinnig, die menschlichen Beziehungen stehen im Mittelpunkt. Das ist natürlich auch bei „Cosi fan tutte“ so, aber nicht in diesem tiefen, ernsten Sinn. „Clemenza“ liebe ich über alles, denn es ist sehr ehrlich geschrieben. Mozart unterscheidet sich von anderen Komponisten durch seine Ehrlichkeit und seinen tiefsinnigen Ausdruck. Ich kann das garnicht beschreiben. Und jedes Mal, egal wie müde man ist – ich reise ja so viel – spürt man diese menschliche Weise drin verborgen. Und trotz der Traurigkeit, der Bitterkeit die oft da ist, gibt es auch eine heile Welt drinnen.
Ich bin so enttäuscht von unserer jetzigen Welt, die authentischen Menschen verschwinden mehr und mehr, um so mehr spürt man diese Musik, sie wird umso stärker.
Es geht mir auch so, ich halte mich mehr und mehr an die Musik.
Es ist fürchterlich was heute passiert, keine Ahnung warum. Durch diese Persönlichkeiten – wir reden über Harnoncourt: er ist ein Mann der so viel getan hat, viel gelernt hat, so viel Erfahrungen hat. Er hat mir bestätigt was ich selbst empfinde. Wir musizieren durch unsere Erfahrungen. Das ist unsere Seele, sind unsere Gedanken, was wir auf die Bühne bringen. Als Dirigent, als Sänger..
Haben Sie ihren ersten Sesto dann in Salzburg gesungen?”
Ja, ich habe ihn zum ersten Mal in Salzburg gesungen, unter Gustav Kuhn und in der Produktion von Karl-Ernst und Ursel Herrmann. In Salzburg dann auch mit Harnoncourt und Martin Kušej. Kušej ist auch ganz aussergewöhnlich! Er kann Noten lesen …
…das ist ja bei Regisseuren nicht immer der Fall.
Ich will ja nicht Negatives sagen, aber es ist nicht immer der Fall. Harnoncourt und Kušej verstehen sich sehr gut. Martin Kušej ist sehr intelligent, super gut vorbereitet. Harnoncourt mag keine Leute, die einfach nur kommen, nicht vorbereitet sind.
Deswegen arbeitet er so gerne mit ihm, vielleicht?
Ich kann mir das gut vorstellen. Kušejs Einstellung, die gleiche Meinung, die gleiche Richtung….
Er hat den Sohn von Harnoncourt, der verunglückt ist, Eberhard, sehr gut gekannt, sicher auch deswegen.
Wie ist nun der Sesto, speziell in Salzburg war das ganz besonders. Er macht ja dieses Attentat auf Titus…
….trotzdem, er ist für mich ein Heiliger, der Sesto. Ich empfinde ihn ähnlich, wie Mozart heute in Filmen dargestellt wird, so verrückt. Er war sicher ein hochsensibler Mensch und daher manipulierbar, weil er ein guter Mensch war. Ich glaube, Mozart setzte sich selbst in Beziehung zu dieser Figur, man spürt das in der Art, wie er das geschrieben hat. Ganz ähnlich der der Idamante in Idomeneo. Das ist meine bescheidene Meinung (Vesselina Kasarova wirkt tatsächlich extrem bescheiden, Anm.)
Das sagen Sie sehr schön! Sie sind ja im Moment d e r Sesto überhaupt!
Ja ich werde sehr oft angefragt dafür. Vielleicht ist es auch deswegen, weil ich sicher niemanden kopiere, ich mache es so, wie es in meiner Vorstellung ist. Wenn es gefällt, schön, wenn nicht….Ich selbst muss überzeugt sein von dem was ich mache. Drum habe ich diesen Respekt vor Künstlern wie Harnoncourt, denn er ist auch einmalig. Die jungen Künstler sollen das lernen: umso authentischer, umso stärker. Nicht kopieren, was die anderen machen! Nur so kann man das Außergewöhnliche erreichen, entwickeln, denken.
Wie steht die Oper im Moment da, wie wird sie sich in die Zukunft hinein entwickeln?
Ich habe keine Idee! Die Topsänger, auch die Topdirigenten, die sind immer gefragt, ohne die wäre es schade. Gefährdet sind die die auf der folgenden Stufe stehen, die gut sind, aber nicht an der Spitze. Das ist ein wenig ein Tabuthema. Ohne Namen zu nennen, kann ich das korrekt ausdrücken. Sie sind gefährdet von der dritten Reihe überholt zu werden, von denen, die sagen: wir singen ein paar Jahre, weil wir jung sind, gut aussehen. Hübsch aussehende Leute gibt es immer wieder, ich staune. Man hat jetzt einige Zeit auf das gute Aussehen gebaut, doch heute kommt man wieder weg davon. Man sagt jetzt: die ist so unkompliziert…
Denn die Leute die heute mit den Sängern arbeiten, haben teilweise keine Ahnung.
Publikum gibt es immer, man kann gut mit Populärem die Menschen locken. Das Problem sind diejenigen, die mit der Musik arbeiten und keine Ahnung haben, Schallplattenfirmen, Agenturen. Meine Agentur allerdings ist professionell, ich habe Glück. Die Leute die mit Künstlern arbeiten, sollen nicht nur an heute denken. Sondern an morgen, übermorgen, und was mache ich mit diesem Künstler in 10 Jahren. Das ist Karriere!
Dass man etwas aufbaut!
Ja! Ich sage mit Traurigkeit, es kommt vor dass heute Sänger nach 4 Jahren verschwinden, oder man hat nach 4 Jahren schon zwei Operationen an der Stimme. Können Sie sich das vorstellen! Wie kann man da reden von einer Karriere von 30/40 Jahren? Man soll Respekt haben vor den Sängern, vor allem die, die mit ihnen arbeiten. Und die Sänger sollen sich mehr zu einer Persönlichkeit entwickeln und auch mal nein sagen können.
Sie haben ja selbst sehr jung angefangen…
Ja, und oft nein gesagt. Es ist aber alles eine Frage der Technik, ich habe 5 Jahre jeden Tag an der Stimme gearbeitet. Heute arbeitet man 1 oder 2 Jahre ein wenig, und dann geht man auf die Bühne.
Wirklich, gibt es das?
Ja das gibt es! Es gibt viele Scharlatane als Lehrer. Die versprechen dem Sänger alles, und plötzlich bekommt er keine Arbeit, ist verwirrt…
Doch das war immer so und wird immer so sein, aber Gott sei Dank kommen auch in der neuen Generation tolle Persönlichkeiten, das heißt sie haben eine gute Intuition, ein gutes Gespür, gepolstert mit einer 100%en Technik und einer Persönlichkeit, Stabilität. Keiner kann mich aus der Kontrolle bringen. Und es gibt für mich noch etwas Wichtiges: nie meinen Schatten überspringen. Man überschätzt sich leicht, das ist eine Krankheit, für die es keine Medizin gibt. Es kommen ein paar Komplimente und diese Krankheit ist schon da! Ich habe Gott sei Dank geschafft, nie oberflächlich zu sein, und keiner kann mich zu etwas überreden. Vielleicht weil ich etwas misstrauisch bin.
Sie haben Offenbach mit Harnoncourt gemacht…Sie strahlen ….das habe sie wohl gerne gemacht!
Es hat n u r Spaß gemacht! Doch dahinter steckt viel Arbeit. Aber Harnoncourt hat ja enorm viel Humor, obwohl er so ein Philosoph ist.
Und ein Pessimist!
Ich bin auch Pessimistin! Doch sein Humor: er bringt einfach alles, was er hat, bei jeder Probe, jeder Vorstellung. Ich spüre oft bei viel jüngeren Dirigenten bei den Folgevorstellungen einfach nur noch Pose. Harnoncourt ist immer mit Leib und Seele dabei, das ist Professionalität, das ist Liebe zur Musik! Er ist nicht einer der dem Publikum zeigen will, was für ein guter Dirigent er ist.
Er ist nicht einer der vor dem Spiegel übt!
(lacht) ne ne ne! Braucht er nicht und er findet sowas auch scheußlich.
Sprechen wir also über Belle Hélène!
Das war auch eine wunderbare Kombination mit Lohner. Er hätte jede Partie spielen können, wenn er gewollt hätte.
Genau. Eine Arbeit mit einem Schauspieler ist sicher ganz anders wie mit einem Regisseur. Lohner hat sicher schauspielerisch ganz genau mit ihnen gearbeitet.
Er hat manchmal nur eine Idee oder ein Wort gegeben, und man hatte schon die Vision. Es geht ja nicht um viel reden, die Leute, die viel wissen, sagen oft ganz wenig.
Der Witz von Offenbach ist ja sehr sarkastisch, und Harnoncourt macht das auch ganz besonders, nicht oberflächlich lustig, mehr als eine Satire. Oder?
Ja aber auf sehr feine und intelligente Art. Nicht billig oder übertrieben. Es ist genial, und die Menschen verstehen, dass es genial ist. Aber dezent. Es stimmt die Balance. Das ist nicht einfach. Es ist dasselbe wie mit dem Kitsch.
Und diese schönen Kostüme von Castelbajac!
Ja, das hat Spaß gemacht. Und dann Périchole…
Eine besondere Figur, sie hat ja wirklich gelebt, und es gibt ja auch einen Roman von Thorton Wilder, in dem sie eine Rolle spielt. Ich erinnere mich an Sie als eine sehr junge Périchole.
Ja, sie ist jung, sehr jung. Hélène ist eine reife Frau. Aber ob die Figur jung ist oder nicht, man kann die Partien nicht wirklich jung singen, Offenbach ist nicht zu unterschätzen. Operetten sind überhaupt etwas von schwierigsten, was ich erlebt habe. Ich habe gedacht, ach ja, wir singen und tanzen, aber es nicht so leicht, die Leichtigkeit zu zeigen, und Harnoncourt hat bei Offenbach diese Freiheit gefunden, mit den Tempi, dem Ausdruck.
Sein Offenbach klingt ja ganz anders als bei anderen.
Ich finde phänomenal! Und er hat mir bei jeder Arie geholfen, die Farbe zu finden, und das ist etwas, was mich bei jedem Komponisten trägt.
Eben das wollte ich Sie fragen: wenn Sie beispielsweise den Sesto mit anderen Dirigenten singen, z.B. Franz Welser-Möst, kommt da das Mozartbild von Harnoncourt dann auch noch zum Tragen?
Oh ja!!! Von jedem Dirigenten bleibt etwas – auch Welser-Möst ist eine große Persönlichkeit. Es gibt ja Dirigenten, die absolut nichts sagen, und dann kann ich meine Erfahrung einsetzen, die ich gemacht habe mit Harnoncourt oder Welser-Möst. Es ist leider traurig, aber ich muss es ehrlich sagen…
Selbst auf dem Niveau auf dem Sie arbeiten?
Jaja, es gibt heute prozentual mehr gute Sänger als Dirigenten. Die guten Dirigenten, eben auch Franz Welser-Möst, haben eine Klarheit, die wollen etwas und ziehen es durch. Nicht nur einmal in einer Probe im Kämmerchen, sondern in den ganzen Vorstellungen. Eber wieder: Persönlichkeiten!
Die Partien Hélène und Péricheole waren ja geschrieben für Hortense Schneider, die angeblich eine sehr hohe, fast piepsige Stimme hatte, und sie haben einen Mezzosopran.
Ja, möglicherweise, aber die Partien liegen für mich sehr gut. Wenn man den Text und die Noten dieser Partien sieht, so merkt man dass man Wärme in der Stimme haben muss. Also kann ein Mezzo das gut interpretieren, denn eine Mezzo hat diese Wärme. Ich sage nicht dass ein Sopran das nicht interpretieren kann, aber es wird dann anders sein. Und die Melancholie, die drinnen liegt…..Offenbach ist genial. Er war gezwungen diese Operetten zu schreiben, denn es war diese Zeit. Und er hat es trotzdem geschafft auszudrücken, was er wollte. Stellen Sie sich vor, er hätte die Möglichkeit gehabt, etwas Seriöses zu schreiben!
Überhaupt die Fachgrenzen! Sie haben ja auch mit Harnoncourt die Poppea und die Penelope gesungen von Monteverdi.
Ah genau! Bei der Premiere von Poppea hatte ich Scharlach. Der Arzt hat das nicht sofort erkannt. Ich war damals 39, ich wünsche das keinem Menschen! Eine verrückte Geschichte. Aber man sieht, dass wir Sänger abhängig sind von unserem Körper.
Poppea ist eigentlich eine Sopranpartie, bei Ponnelle war es Rachel Yakar, dann Silvia MacNear
Ja aber die Tessitura passt. Ich bin jemand, die sehr vorsichtig ist, doch bei Monteverdi gibt es keine Gefahr. Es kommt auf den Ausdruck an, den man hat. Monteverdi braucht farbige Stimmen, der Umfang ist nicht das Gefährliche. Ich würde niemals die Fiordiligi singen oder die Elvira, für letztere werde ich oft gefragt.
Das wäre möglich, Ann Murray hat es gemacht.
Ich möchte das nicht singen, höchstens vielleicht einmal mit Harnoncourt.
Im Ulisse hat ja Karl Heinz Grüber die Regie gemacht
Fantastisch! Sehr stark im Ausdruck.
Wie hat Grüber mit Ihnen gearbeitet, er kam ja vom Film?
Die größten Regisseure reden nicht so viel, die lassen die Dinge entwickeln, haben schon Ideen, aber……Sie machen nicht diesen Blödsinn….
Kann man sagen sie geben die Form, innerhalb der man selbst die Rolle entwickeln kann?
Jawohl, jawohl! Ich war schockiert über seinen Tod.
Die Poppea mit Flimm war schwierig, nicht wahr? Flimm hat mir gesagt dass er selbst Probleme hatte.
Ach, wieso? Es war doch hervorragend!
Es in die Moderne zu versetzen, wäre keine gute Idee gewesen, meinte er.
Ach wirklich, ich fand es spannend! Flimm ist ein extrem selbstkritischer Mensch, andere würden sich dauernd loben.
Die letzte Frage: Kann man als Sänger in der heutigen Oper, mit dem Regietheater, sich selbst noch genug einbringen?
Ich versuche immer einen Weg zu finden. Heute haben wir keine andere Wahl! Und ich spüre, wenn das Publikum heute eine konventionelle Inszenierung sieht, dann ist es wieder unglücklich. Was will man jetzt eigentlich? Man kann es niemanden recht machen!
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
Thomas Hampson - Interview mit Anna Mika -09.2008
Herr Hampson war Ihre erste Partie mit Nikolaus Harnoncourt der Don Giovanni in Zürich?
Nein, es war Dido und Äneas. Szenisch mit Nikolaus Lenhoff. Roberta Alexander war Dido, und das war meine erste Begegnung mit Harnoncourt in Graz bei der styriarte.
Und dann…nein Dido war die schon die zweite Produktion.
1985, also vorher schon war in Julius Caesar der Achillas, und dann in Zürich, als ich da engagiert war, war eine meiner ersten Produktionen der Julius Caesar selbst. Federik Mirdita hat inszeniert, ein netten Kerl. Das war das Szenische. Sonst hatte ich viele Konzerte mit NH. Dido war zuvor konzertant in Wien. Und dann in Graz habe ich meine jetzige Frau Andrea Herberstein kennengelernt, sie war damals die Leiterin der styriarte.
Dann kam der Ponnelle-Zyklus in Zürich, das erste war Cosi, mit Lucia Popp, Ann Murray, Gösta Winbergh, Claudio Nicolai und…? (Julia Hamari, Anm:), eine legendäre Produktion. In dieser Produktion waren nacheinander die beiden verstorbenen Tenöre Winbergh und Deon van der Walt meine Partner.
Und dann kam für mich Figaro an der Met, und dann 1987 die 200jahrfeier der Uraufführung des Don Giovanni konzertant, aber mein erster Don Giovanni war szenisch mit NH und JPP in Zürich. Und als JPP gestorben ist, haben wird den alten Figaro aus Salzburg geholt.
Und dann gab es noch den Don Giovanni mit Kušej in Salzburg?
Ja, im Jahr 2002. Die neue Ära Rusizka wurde damit spektakulär eröffnet.
Wie war die Arbeit mit Harnoncourt, nach all Ihren Erfahrungen mit anderen Dirigenten?
Es gehört gesagt dass bei uns Sängern, darstellenden Künstlern, Teil unserer Aufgabe die Anpassungsfähigkeit ist. Das heißt nicht dass wir nicht selbst auch unsere eigene Meinung, unser Können, unsere Inbrunst und was auch immer haben, aber es liegt an einem starken Dirigenten, seine Phantasie, seine Vorstellungen ect. auf uns zu übertragen. Wenn Levine sowas und Abbado sowas verlangt, oder Muti oder Harnoncourt was weiteres, so müssen wir das erstens können, und zweitens verstehen können. Auch wenn Harnoncourt etwas sonderbar Scheinendes verlangt hat, so war es doch immer selbstverständlich und logisch und begründet. Oft habe ich für mich selbst eine andere Meinung behalten in der Welt von Harnoncourt, denn er ist gründlich, logisch und vernünftig, und er streitet selbst auch gern. Hat gerne Persönlichkeiten, die sagen das verstehe ich nicht, aus dem und dem Grund. Noch dazu hab ich den Harnoncourt sehr früh in meiner Karriere kennengelernt, und deswegen hat er in sehr vielen Dingen meine Einstellung geformt, ich bin ihm sehr dankbar. Er ist einer der größten Musiker, dem ich je in meinem Leben begegnet bin. Später als ich mehr Erfahrungen mit anderen großen Dirigenten gesammelt hatte, hat das Harnoncourt einfach nochmals eine ganz besondere Klasse eingeräumt in meinem Verständnis, sehr spannend. Aber die Wahrheit, die Wahrhaftigkeit, die gründliche kompromisslose Nachsuchen von Wurzeln und Zusammenhängen, dem kann sich bei ihm niemand entziehen. Es ist ein großer Lehrer für mich gewesen.
Wenn Sie ihn vielleicht noch näher mit den anderen Dirigenten vergleichen wollen…?
Es gibt unfassbare Persönlichkeiten unter den Musikern, den Dirigenten: ein Bernstein, Abbado, Muti. Es gibt einen Grund warum sie so groß sind, aber sie sind sehr unterschiedlich. Das vergleiche ich gerne mit Bergsteigen, einer geht den Weg von Süden her, der andere von Norden, aber immer geht es um denselben Berg.
Ist es nicht so dass NH sehr viel beim Proben vermittelt, während andere Dirigenten, beispielsweise Abbado, die Inspiration im Moment der Aufführung geben?
Ja, die Probenweise zwischen den Beiden ist wirklich unterschiedlich. Der Abbado ist einer der Giganten der Alten Schule, der mit dem Stab etwas bewirkt, er hört zu und es geschieht ein Wechselspiel mit dem Sänger. Er ist nicht unbedingt ein Sängererzieher, Musikerzieher, aber selbst ein großer Musiker. Man muss selbst einen gewissen Grad des Könnens haben, ehe man Abbado wirklich zufriedenstellen kann. Stimmt, er hat in den Proben nicht viel zu sagen.
Aber NH ist fast ein Kammermusiker in dem Sinn dass er alle Beteiligten einschwören möchte auf den Grundsatz dessen, wie man singt oder musiziert. Es sind immer ganz gründliche, wesentliche Gespräche, Es gibt Dirigenten die machen das nicht, die glauben, sowas sollte selbstverständlich sein oder jeder muss es für sich selbst finden.
Sprechen wir über die Rollen! Zuerst Äneas?
Das war vor 22 Jahren, und ich habs nur damals gesungen, also muss ich nachdenken. Eine wunderschöne Produktion, auch von der Regie Lenhoffs her! Ich war damals ganz fasziniert vom Klang des Concentus und seiner so anderen Art zu phrasieren, und diese Spontaneität von NH! Äneas ist einfach dieser frische, junge, naive strahlende Mann, der im Begriff ist, zum Helden zu werden. Und das passte zu dem jungen Bariton, der ich damals war, der sich einfach auf die Bühnen pflanzte und seine strahlenden Töne sang. Eine sehr schöne Zeit, NH war sehr zufrieden.
Die Marienvesper haben wir auch gemacht.
Der Händel dann, Giulio Cesare?
Achillas und Julius Caesar waren auch toll! Ich rechne es NH als Vater der Originalen Instrumente und der Originalklangpraxis sehr hoch an, dass er trotzdem echte Männer in diese Heldenrollen besetzt hat. Denn heute ist das undenkbar, da kommt die Barockmafia und sagt: das muss eine Mezzosopranistin singen oder ein Countertenor. Ich finde es immer noch schöner wenn diese Helden Baritone sind. Es ist da während meiner Karriere so eine gewaltige Änderung passiert. Auf NH wird die ganze Originalklangbewegung zurückgeführt, aber letztendlich war in seiner Praxis sehr flexibel. In Wien war Caesar Benjamin Luxon und ich dann in ZH. Dennoch war NH es, der bei Monteverdi einen Countertenor wieder eingeführt hat. Esswood hat eine enorme Karriere mit ihm gemacht, auch Deller, das ist faszinierend. Achillas ist ein Feldherr, ein Mitspieler des ganzen. Ich habe sehr gerne den JC gesungen, die Rolle. Ich habe ihn neulich wieder angesehen, ich glaube ich könnte ihn noch immer singen.
Es ist ja eine sehr umfangreiche Partie!
Ja sehr, später, 1990, habe ich Ulisse gesungen, diese mythologischen Figuren reizen mich, regen meine Gedanken sehr an.
Was ist es, was Sie reizt?
Obwohl sie natürlich normale Männer sind, sind sie in ihrer Existenz sehr metapherbeladen. Sie repräsentieren eine ideale Ideen- und Gefühlswelt, statt, aha, solche Hosen, solche Schuhe. Eben das Normale. Das passt schon sehr zum Gesang. Eine modernere Version des Helden ist Wilhelm Tell, doch er ist zuerst ein gewöhnlicher Mann, der wird dann zum Heldentum gerufen, und er verbindet sich dabei sehr mit dem Ikonischen, Mythologischen. Dadurch ist das so ein Volksmythos geworden. Das sind spannende Gedankenwelten, größere als was wir im Alltag leben, und ich glaube dass das Theater diese Welt unterstützen und darstellen soll. Ich bin nicht der Meinung dass jede Oper im Namen von Verständlichkeit heruntergezogen werden muss in den gegenwärtigen Kontext. Ich glaube nicht dass das Publikum das benötigt, es ist oft gescheiter als die Regisseure es annehmen (lacht)
Eine besondere Sache ist da der Don Giovanni. Ich kann nicht stark genug meine Dankbarkeit betonen, dass meine erste Auseinandersetzung mit Cosi, mit Le nozze di Figaro und vor allem mit Don Giovanni in den Händen von Jean-Pierre Ponnelle war. Und dann mit entweder NH oder Levine. Das ist so eine mächtige Grundlage, dass ich selbst 15 oder 20 Jahre später, wenn ich eine dieser Rollen singe und dabei dem Regisseur etwas anbiete und der begeistert ist, dann sage ich: nein bitte, das kommt nicht von mir, das ist von Ponnelle.
Überhaupt ist die Arbeit mit Harnoncourt bei einem Werk von Mozart oder einem Werk mit Rezitativen überhaupt und bei einem, wo die Dramaturgie in dieser harmonischen und rhythmischen Entwicklung von Sprache und Gesang sich ereignet, einfach unbeschreiblich. So gründlich, so selbstverständlich, so nur nach dem Suchen des Sinnes, warum genau diese Figur jetzt genau das sagt,….Und dann sagt er, die Harmonie in der Zeit wäre so, und diese Skala zielt dorthin, das ist phänomenal. Das ist ein Grundstein für meine ganze Arbeit
Etwa bei Simone Boccanegra, durchaus kein Stück für Harnoncourt…
,,,ah,Verdi, warum nicht?
Ja, er kann machen was er will!!! Aber wenn dann Daniele Gatti dieses Rezitativ im dritten Akt erklärt mit der hängenden Harmonie, die sich erst zwei Seiten später auflöst, dann ist das genau der selbe Gedanke. Und da gehe ich mit und kann selbst auch etwas anbieten. Diese Art der gründlichen Arbeit, das ist die Art großer Dirigenten, und von ihnen ist Harnoncourt noch einmal ganz etwas Spezielles.
Dieses Buch von Aussprüchen von ihm ist toll. Es gibt keine Seite, die ich nicht unterstreichen kann.
Sabine Gruber ist eine Autorin, schreibt auch Belletristik, sie singt im Arnold Schoenberg Chor.
Ja dieser Arnold Schoenberg Chor! Als ich zum ersten Mal die h-Moll Messe gesungen habe – obwohl ich Johannespassion vorher gemacht habe – aber da hat sich eine neue Welt eröffnet. Sie wollten nur über die szenischen Werke reden, aber diese Passionen haben doch ein szenische Art, diese Spannung und Lebendigkeit. Und da muss ich zu dem religiösen Werken schon was sagen in Bezug auf NH. Es ist bekannt dass ich nicht so ein Anhänger bin von John Elliot Gardiner – aber der große Unterschied zwischen Gardiner und NH, und ich will dem Gardiner nichts im Bezug auf Religion unterstellen, aber der große Unterschied ist, dass bei NH eine Aufführung der Passionen ein Pfad des Glaubens ist, es ist ein Werk, das er wieder seinem Gott widmet. NH ist sehr religiös, da habe ich zuerst nicht so mitbekommen. Wenn er die Johannespassion musiziert, dann liest er aus der Bibel,
Es ist bei ihm wie ein Gottesdienst….
Auch die Kantaten sind Gottesdienste, natürlich in dem gewissen Stil, Bach ect..
Man war, metaphorisch gesprochen, in der Kirche. Das ist sehr selten.
Das wird nicht genug über Harnoncourt gesagt: der Mann ist zutiefst gläubig. Zutiefst gewidmet diesem Ursprung der Werke, das ist nicht ein Konzertstück, das ist berührend.
Schon als ich Student war in Washington, da hatten wir eine verrückte Barockgruppe. Die haben diese ersten Telefunken Einspielungen von den Harnoncourts gesammelt, und als ich mit denen gesungen habe, da war ich 20 Jahre alt, da haben wir das angehört. Und dass ich mit NH dann wirklich musizieren konnte: da kriege ich jetzt noch Gänsehaut, unfassbar!
Meine allererste Einspielung vor Mikrophon war mit dem Concentus und NH, ich war ziemlich nervös, und dann auch deprimiert, als ich das Ergebnis gehört hatte. Ich dachte damals, die werden das nochmals mit einem anderen Sänger aufnehmen und die Sache ist gelaufen. Dass NH doch zufrieden war und mich nochmals eingeladen hat…ich habe damals viele Platten gehört und fand meine eigene Stimme durchaus uninteressant. Ich dachte – no heart feelings, er soll nach mir einladen wen er will. Und dass er mich dann doch immer wieder eingeladen hat, und die Alice! Ich erinnere mich genau an den Tag in Graz, 1989, wo NH mir das Duwort angeboten hat.
Ein großes Geschenk!
Es kam aus heiterem Himmel. Andrea hatte damals noch die Leitung der styriarte, und ich hatte frei und habe ihn herumgefahren. Instrumente für das Chamber Orchestra of Europe gefahren, ihn zum Flughafen etc., von Wien was geholt. Wir haben damals sehr viel im Auto über Musik geredet, wirklich von Musiker zu Musiker. Die Andrea bekam das Du-Angebot viel später. Es war mir dann fast peinlich, ich habe ihn gefragt, ob ich auch in den Proben zu ihm Du sagen darf oder Herr Professor. Er sagte dann (macht eine brummelige Stimme) „Du ist Du“.
NH ist ein Begleitbegriff, seit ich wach für Musik bin.
Für viele Menschen. Es ist so berührend was ich bei meinen Interviews an Aussagen diesbezüglich bekomme.
Nun die Regieauffassungen, zuerst Cosi:
Ebenso gründlich war die szenische Arbeit mit Ponnelle, und wenn NH und er nicht einer Meinung waren, dann war eine Spannung im Raum, die faszinierend war. Doch JPP war ein Theatermensch, wenn auch aus der Musik. NH ist auch ein Bühnenmensch, aber er erforscht die Dramaturgie durch das Notenbild von Mozart, was bewirkt ein Andante, was ein Andantino…..Seine feste Überzeugung ist, dass wenn er die Musik richtig trifft, dann kommt die richtige szenische Energie, doch das ist nicht immer wahr. Ich, der tatsächlich auf der Bühne herumgeht …
Doch wenn diese zwei Meister zusammen… sogar Ponnelle war manchmal überrascht von NHs Tempi, doch er konnte das sofort physisch umsetzen.
Er ist also durchaus dem NH gefolgt?
Nicht immer, aber meistens. Er musste natürlich, denn NH musiziert, doch es gab Kompromisse, wenn das Tempo auf der Bühne nicht umsetzbar war.
Was Don Giovanni betrifft, könnte man Stunden reden. Aber eins: Das Stichwort ist weder „gut“ noch „böse“, sondern „Ironie“, und diese Ironie ist der Geniestreich Mozarts. Was Giovanni sagt, in welcher Musik er das tut und welche Wirkung er erreichen will, all das ist ein permanenter Widerspruch. Außer an bestimmten Stellen, und die sind fast die banalsten, wie die Serenade. Die ist nicht ironisch, und das ist das Tragische daran. Denn diese große mythologische Figur, die hat einen Minderwertigkeitskomplex. Er erniedrigt alle anderen, nur um zu beweisen dass er der Größte ist. Und dann in dieser D-Dur Serenade lässt er alle seine Spielzeuge aus dem Sack, für eine Kammerzofe die man nicht sieht. Und das mit angeblichem Erfolg. Angeblichem! Denn wir sehen an diesem Abend überhaupt keinen Erfolg, es wird geredet von Erfolg, immer nur geredet. Doch was wir sehen, ist ein besessener, gebrochener Mann, der nicht an Gott glaubt, der gegen alle Natur geht, der die Männer gesamthaft herunterzieht, die Frauen abnützt. Nicht einmal auf eine raffinierte, faszinierende Weise. Denn Don Giovanni hat selbst keine musikalische Sprache, er nimmt von jeder anderen Figur deren musikalische Sprache auf.
Er hat ja auch keine Arie!
„Fin ch’han dal vino“ ist keine Arie, es ist eine Selbstsuggestion, ein Rausschmeißer, ein Fetzen, wie ein Drogensüchtiger…
Also ist Don Giovanni doch ein Drogensüchtiger, wie im Salzburg heuer?
Nein nein, er ist kein Süchtiger, das ist Bullshit. Alles wird so klein gemacht, es wird kleiner und kleiner. Eine würdige Don Giovanni-Inszenierung ist seit langem nicht gewesen. Ich war niemals begeistert von unserem Bühnenbild von Giovanni im Salzburg, aber der Kušej hat in seinen Gedanken doch die größere Würde der Figuren vor Augen gehabt. Und im zweiten Sommer hatten wir eine sehr gute Aufführung. Die Verfilmung, na ja, das musste sein, die Umstände waren falsch, die Besetzung auch, der Dirigent war nicht NH. Im ersten Sommer haben wir noch getastet, es war neu, nicht ganz sicher. Die Aufführungsserie von 2003 war hervorragend. Es war die umstrittenste Produktion, die ich überhaupt je gemacht habe. Sie wurde abgelehnt, aber auch das Gegenteil. Ich traf hernach Leute mit Tränen in den Augen, die mir sagten sie hätten das Werk nie verstanden, erst heute in dieser Inszenierung. Am selben Tisch war jemand mit Zorn im Auge, der schimpfte, dass das der unwürdigste Schrott ist, den er je gesehen hat. Die beiden haben dann diskutiert. Doch das ist nicht das, was Kunst sein soll. Sie stellt zwar etwas dar, womit wir uns alle auseinandersetzen sollen, Es ist völlig unwesentlich, ob der Thomas Hampson mit dieser Inszenierung einverstanden ist, wenn die Philosophie, das Universale dieses Werks erhalten bleibt, dann habe ich eine Verantwortung, das zu achten, selbst wenn ich nicht mit jedem Detail einverstanden bin. Deshalb bin ich treu geblieben. Denn es war bekannt dass ich nicht zufrieden war, nicht happy war. Doch so schlimm war das nicht, Kušej und ich sind sehr befreundet und durch diesen Kampf noch bessere Freunde geworden, und wir haben stundenlang diskutiert über einzelne Szenen. Eine sehr spannende Arbeit!
Gibt es zwischen den beiden Giovannis grundsätzliche Unterschiede?
Well, ich habe schon einige Male Don Giovanni gemacht. Meine grundsätzliche Überzeugung ist: er ist ein schwierige Figur. Er hat wesentlich mehr mit einem Dracula oder Vampir zu tun als mit Casanova – die dunkle Seite von Casanova ist allerdings dunkel genug. Wenn man zurückgeht auf Tirso de Molina, aufs Puppenspiel, so war es schon immer ein metaphorisches Stück, der Inhalt der unersättlichen Sinnlichkeit, des unbeugsamen Willens. Der Inbegriff der unverzeihlichen Sünde, die jeder Mensch begehen kann, indem er sagt ich kann mich selbst retten, ich bin einzig in der Natur, ich bin mein eigener Gott. Egal welcher Religion man angehört, aber er ordnet sich nicht respektvoll der Natur unter. In der Natur ist auch Gott inbegriffen. Da meine ich nicht den kirchlichen Gott, sondern den Allgott. Und Don Giovanni vernichtet das, er ist in dem Sinn der Inbegriff von Böse, the Evil. Er muss töten, um sein eigenes Leben zu füttern, er geht herum wie der große Gockelhahn, nur um sich selbst zu beweisen was er sein möchte, denn wenn ihm das gelingt, dann kommt die Sinnlichkeit wieder zu ihm her. Er trinkt gern, hat Frauen und sonst noch einiges. Ihn als einen gegenwärtigen Drogensüchtigen darzustellen ist sooo klein. Er ist viel hässlicher als das. Mit einem Drogensüchtigen habe ich Mitleid, mit Don Giovanni nicht. Ich habe nach einer Don Giovanni-Aufführung einen verdorbenen Magen und gereizte Nerven, als ob ich etwas begangen hätte. Ich nehme diese Figur sehr ernst, er hat eine gewaltige Konsequenz für Frauen wie für Männer, für Menschen die bereit sind, das dunkelste unseres Lebens zu denken, zu erfahren. Dass da ein Galgenhumor da ist, eine Perversität, das Dramma Giocoso, das ist auch diese Ironie. Diese Gattungsbezeichnung meint, dass es im Stück parodiehafte Figuren gibt, Buffo. Durch diese strahlt das Menschliche durch.
Leporello etwa?
Zum Beispiel. Auf jedem Fall ist er kein Möchtegern Don Giovanni, die beiden sind nicht austauschbar, das ist das Komödienhafte. Wenn Leporello versucht DG zu sein, ist das nicht lustig, da wird nämlich sofort klar mit welcher verdorbenen Inbrunst Don Giovanni agiert. Niemand kann ihn nachmachen, er kann sich selbst nicht nachmachen. Wenn ein Sänger diese Rolle wirklich gut darstellt, auch wenn er eine schöne Stimme hat, sollte das Publikum eine Abneigung gegen ihn haben. Er ist nicht der Held.
Wie wurde in den beiden Inszenierungen das Ende des DG gedeutet? In Zürich wurde j sogar die Ultima scena weggelassen?
Ja, da werde ich nie vergessen, der „Tagesanzeiger“ oder…(vielleicht auch eine andere Zeitung in Zürich) hat getitelt: „Und am Schluss eine gewöhnliche Leiche“. Ein Verriss! Der Kritiker hat dem Ponnelle vorgeworfen, dass er das ganze heruntergezogen hat. Doch da war der springende Punkt: am Schluss sind wir alle Leichen, Denn Don Giovanni ist in Jedem, in Jeder von uns.
Nach NH und JPP hatte ich gleich einen DG an der Met mit Zefirelli, das hat mein Rollenbild geformt. Er ist ein Mörder, ein Vergewaltiger, ein raffiniertes Zugpferd. Das war auch bei Kušej so. Der sagt: das ist Einer, der all das beim strahlenden Sonnenschein macht, drum war es auch so hell auf der Bühne, diese Tollkühnheit. Diese Adacity. Er schaut der Anna ist Gesicht mit einem riesigen Lächeln, streichelt ihr die Wange und sagt, ja stimmt, ich habe leider deinen Vater umbringen müssen. Das erregt Dich, gell. Und es erregt sie wirklich!!! Das ist eine komplexe Sache, sie ist nicht nur ein Opfer. Giovanni erweckt in diesem Fräulein die Frau, und sie ist vollkommen an dem Ottavio vorbei. Das hat nichts mit ihm zu tun, Ottavio steht für die Gesellschaft. Und dann auch noch Masetto und Zerlina, sie sind der Inbegriff der Gesellschaft. Die anderen Figuren sind drüber oder drunter, jedenfalls abseits der Gesellschaft, und sie müssen sich immer wieder üben in den gesellschaftlichen Formen, sie können das nicht von Haus aus, es sind mythologische Figuren. Donna Elvira ist ein Frauenbild, ein Symbol, doch sie versagt auch am Ende. Der Eintritt ins Kloster ist kein positives Zeichen, sie versteckt sich, wird nicht fertig. Wir sind heute offener das zu sehen als vor 200 Jahren. Giovanni ist das unvollendete Vollendente von Mozart, es wird nie vollendet. Es gibt immer Widersprüche, nie kann man es nur so oder nur so spielen.
Le nozze di Figaro, das ich auch oft mit NH gemacht habe, ist hingegen die allerperfekteste Oper, die Vollkommenheit der Dramaturgie.
Cosi ist im musikalischen Sinne perfekt. Auch sehr metaphorisch, ein „Sommernachtstraum“, eine Modellanordnung.
Figaro ist eine unfassbare Vollendung, klassisch, von den Figuren, vom Text. Ich bin froh daher dass NH die Arien im vierten Akt nicht streicht, sie sind wertvoll. Natürlich hatten sie damals auch die Funktion der Unterhaltung.
Die Figur des Conte: Wenn man es heute modernisiert, wenn man nicht irgendwie wahrnimmt aus welcher Gesellschaftsordnung das kommt, so hat man sehr schnell eine unangenehme Geschichte, wo der Arbeitgeber mit die Frau des Arbeitnehmers schlafen möchte. Doch die Sache ist wesentlich tiefgründiger. Ich bin auch der Meinung dass nicht alle im spanischen Hofgewand herumspazieren sollen, aber ein Strindberg-Play ist es auch nicht.
So wie in Salzburg 2006?
Claus Guth ist ein guter Regisseur und ein tiefer Denker, doch ich hatte mit diesem Figaro andere Probleme als nur die mit dem Strindberg. Ich fand die Idee mit diesem dazugenommenen Cherubino, dem Cherub…na ja…. Die Idee ist grundsätzlich gut, dass irgendwas flippt an diesem tollen Tag, doch es hätte eine junge Person sein sollen, ein rotbackiger Bub oder ein Mädchen, und wesentlich sparsamer. Die Idee war gut. Doch die Durchführung…ein 70kg schwerer Mann auf den Schultern des Grafen während der Arie!!!!. Mein Bemessungsgrad: ich bin bereit für moderne Deutungen, bereit in alle Richtungen zu arbeiten, doch – und das habe ich von NH gelernt: Oper ist eine musikalische Kunstform, sie hat eine theatralische Komponente, ein Bedürfnis nach Bühne, einer darstellenden Qualität. Doch jeder Atemzug, den ich auf der Bühne mache, ist bestimmt von der Musik, von der musikalischen Sprache. Ich kann da vielleicht widersprüchlich, aber nicht dagegen arbeiten.
Das habe ich auch zu Kušej gesagt, denn er hat nicht sehr viel Erfahrung mit Oper. „Schau Martin, sehr viel von unserer Arbeit ist, nicht zu schaffen, sondern zu entziffern.“ Und ein Trio ist ein Trio. Im Schauspiel kann man daraus auch ein Sextett machen, und es ist unfassbar was man im Schauspiel alles machen kann, und Kušej ist ein Meister dafür. Aber bei Mozart steht alles schon so da, und das Finale Figaro 2.Akt ist ein achtes Weltwunder!
Zweitens: ich soll und kann nichts tun auf der Bühne, was mehr Wirkung hat als das, was ich singe. Der Inbegriff der Figur muss aus der Musik kommen. Wir können natürlich ergänzen, helfen, unterstützen, Bezüge darstellen, ergänzen. Aber es muss im Ursprung verwurzelt sein: warum diese Tonart, dieser Rhythmus, warum dieses Wort als Metapher der Seele durch die Gedankenwelt, durch die Musik. Das verstehen sehr viele Regisseure heute nicht. Ich kritisiere sie nicht, aber sie tun mir leid. Sie sind nicht in der Lage, diese Dinge wahrzunehmen. Das ist sehr problematisch. Dann wird die Musik zur Begleitung der Bühne.
Und diese Stilmafia! Ein Stil ist immer eine Beschreibung der Musik im Nachhinein. Schubert hat nie gesagt, ich schreibe im Schubertstil, sondern er war er. Stil ist immer rückblickend. Ordnend. Doch der Ursprung eines Werks ist die Spontaneität des Menschenlebens. Das ist der Inbegriff von Harnoncourt. Man kann streiten über seine Tempi ect, doch die sehen ihn nicht mit denselben Augen.
Harnoncourt sagt: Kritiker sehen mich von hinten, die Musiker von vorne.
Er ist wählerisch in seinen Regisseuren?
Er muss es sein! Ich hätte gerne den Idomeneo gesehen.
Waren Sie drin? Hat’s Ihnen gefallen…
Ja, großartig. (Ausführung meinerseits)
Also der Conte ist unmöglich im modernen Kontext. Das heißt nicht dass man den Conte entschuldigen muss. Doch es ist schwer vorzustellen einen erfolgreichen Figaro zu haben ohne die gesellschaftlichen Gegebenheiten, Regeln und Beziehungen des späten 18.Jh. Es geht nicht um die Darstellung des Vulgären, um ein Lächerlichmachen, es geht um die Emanzipation der Frauen und um demokratische Strömungen. Der Conte ist weder blöd noch boshaft, aber er ist der Inbegriff von einem, dessen Zeit vorbei ist. Er ist nicht besonders begabt, vielleicht nicht wie dazumal sein Vater oder Onkel, und den ganzen Tag geht ihm alles schief, und er schaut mit empörter Überheblichkeit herum und fragt wieso? Mein Onkel, mein Vater hatten das alles im Griff, warum ich nicht?
Und er hat wirklich liebevolle Gefühle für Susanna, es geht ihm nicht primär um Sex. Man muss wissen wie damals die Ehen geschlossen wurden, wie jeder Mätressen hatte. Das war nicht eine derart empörende Frechheit wie später. Nur war Beaumarchais durch und durch modern, zu dieser Zeit der Inbegriff des Modernen, man muss ihn so verstehen.
Da geht es wie in allen solchen Werken um das, was undenkbar ist: der dürfte nie in diesen Raum kommen, der dürfte sie nie an den Schultern packen ect,
dann können wird das Dilemma der Person angehen.
Dann können wird den Figaro im ganzen Reichtum seiner menschlichen Dimension sehen.
Ich habe bisher keine einzige moderne „Nozze“ gesehen, die mich berührt hat. Denn die Menschen bleiben auf der Strecke. Bei Guth war das eine konsequente Erzählung, sehr wohl, aber nicht annähernd ausreichend zu erleben, was in diesen Menschen vorgeht..
Noch dazu Cherubino als ein Art Dennis Demenis (wer ist das, Anm.?) Mit der hohen Stimme! Aber er ist ja vielmehr ein werdendes Alphamännchen. Er geht wie eine verrückte Biene von Kelch zu Kelch, und diese natürliche sexuelle Verbindung zwischen jungem Mann und älterer Frau, das Thema des Reifens.
Das größte was Mozart sagen wollte: Figaro und Susanne sind gute Menschen lieben sich aufrichtig, warum dürfen sie nicht das Leben leben, das sie sich vorstellen?
Ich habe den Graf aufgehört zu spielen, denn in den modernden Inszenierungen war er seicht, letztlich langweilig. Bei Ponnelle war das ganz etwas anderes. Bei ihm war der Graf durchaus auch humorvoll dargestellt, immer der, der ein bisschen zu spät ist, dennoch glaubt er, der große Kontrolleur zu sein. Doch diese und alle Figuren hatten Würde bei Ponnelle, alle seine Beziehungen hatten diese Würde.
Für eine modernen Menschen ist das schwer vorstellbar, dass die Gräfin, seine familiären Beziehungen also, bleibt intakt bleiben, aber die Gefühlswelt wandert zu Susanna und in ihre Welt. Vielleicht wegen ihrer jugendlichen Frische, oder es ist seine unausgesprochene Sehnsucht nach Normalität, denn sicher ist nicht jeder Graf ist glücklich, dass er als Graf geboren ist. Aber etwas muss beim Grafen bleiben, und das ist sehr wichtig, nämlich diese Manieren, die Haltung eines Grafen. Er sitzt nicht einfach so, klopft niemanden auf die Schulter, greift der Susanna nicht an den Unterleib. Es soll immer die Frage gestellt werden: Was ist keinesfalls möglich? Und darauf kann man aufbauen.
Ich hoffe dass Sie das verstehen: diese Tabuwelt in einer Oper wird oft unterschätzt, selbst bei Weber, bei Wagner.
Es soll immer die Frage gestellt werden: Was ist keinesfalls möglich? Und darauf kann man aufbauen.
Ich frage mich manchmal was aus mir geworden wäre, wenn NH mir 10 Jahre später begegnet wäre. Zu Anfang meiner Karriere war Bernstein noch da, dann Levine und NH, das waren die Giganten. Schwarzkopf auf der anderen Seite, aber sie alle haben etwa Grundsätzliches geschenkt: dass ich gesunde Instinkte entwickeln konnte und ein forschender Geist sein sollte. Ich war damals ganz und gar nicht reif, viel zu wenig belesen, aber die Instinkte haben ja gesagt. Ich habe gespürt: geh weiter, und schürfe tiefer, frage immer. Und die haben mir erlaubt in meinen jugendlichen Irrtümern mich zu tummeln, und sie haben mich doch durch Ihre Meisterschaft geformt. Ich habe großes Glück gehabt.
In diesem Pantheon der Großen räume ich einen weiten Platz dem väterlichen Freund, dem unantastbaren Musiker Nikolaus Harnoncourt ein.
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
Erich Höbarth - Interview mit Anna Mika -10.2008
Harnoncourt hat die Opern Haydns vollständig rehabilitiert
Anna Mika: Herr Professor Höbarth, seit wann sind Sie Mitglied des Concentus?
Erich Höbarth: Seit 1981. Die ersten Jahre war ich noch nicht Konzertmeister, saß aber gleich neben Alice Harnoncourt. Ab circa 1984 bin ich Konzertmeister. Alice hätte diese Aufgabe noch ohne weiteres fortführen können, hat sich aber so entschieden.
Sie erfüllt ja auch sonst so viele Aufgaben, ist z.B. musikalische Assistentin.
Absolut! Es ist unglaublich was sie macht. Sie kümmert sich um sämtliche Verbindungen zur Außenwelt. Dann die Übertragung der Inhalte aus seiner Partitur in sämtliche Stimmen, eine allein schon manuell immense Arbeit! Wenn man eine ganze Oper übertragen will, sitzt man für jede Stimme mehrere Stunden.
Es sind also viele Vortragszeichen von NH schon von vorneherein in die Noten geschrieben!
Ja, die Artikulation, wie lang, wie kurz ein Ton ist, ob gebunden oder nicht, die Dynamik! All das.
Auch Sinninhalte. Ich habe mal in Zürich gespechtet, und da stand ausgerechnet bei den Kontrabässen drinnen „erotisch“
Ist ja wichtig, nicht! Das könnte niemand so wie Alice, auch in der Atmosphäre bei den Proben. Gut, ich spiele die Soli, aber sie kann nach wie vor am besten vermitteln zwischen ihm und dem Orchester. Das ist derartig eingespielt und auch für ihn so beruhigend. Es wäre ganz anders, wenn sie nicht mehr im Concentus spielen würde, das wäre eigentlich nicht denkbar.
Auch nicht denkbar, dass jemand anderer als NH dirigieren würde.
Für mich undenkbar!
(Bei Veröffentlichung dieses Interviews im Dezember 2019 auf diesem Blog wissen wir es anders. Nach dem Tod von Nikolaus Harnoncourt im März 2016 hat Stefan Gottfried die Leitung des Concentus übernommen, unter Mitwirkung von Erich Höbarth)
Er denkt auch nicht ans Aufhören, oder?
Nein überhaupt nicht, im Gegenteil, es wird immer mehr, unglaublich!
Das Buch geht also über die Opern. Konzertant war Theodora, Jephta,…
Beide Werke gehen eigentlich als Oratorien.
Aber gelegentlich gibt s auch halbszenisches, und auch von den Inhalten wird es ja oft echt dramatisch…
Weil er es so suggestiv macht. Die Rezitative zum Beispiel, da vermeidet er total, nur die Noten zu machen, da steht der Inhalt vollkommen im Vordergrund, dadurch ist die Bühne oft gar nicht so wichtig! Obwohl es schön ist, wenn es sie gibt.
Und wenn wir Oper machen so gibt es ganz besondere Probleme, etwa mit der Koordination, wenn die Sänger ganz hinten auf der Bühne sind oder beispielsweise am Boden liegen, das gibt dann ganz neue Probleme. Da braucht man eine lange Probenzeit.
Halbszenisch war der Schauspieldirektor oder Zaide…
…ohne Kulissen, aber mit Aktion.
Szenisch war 1979 Jephta mit dem Concentus, wissen Sie davon schon?
Nein, da war ich noch in der musikalischen Windelhose (lachend)
Dann Dido in Graz 1985, mit den jungen Hampson.
Genau, und Combattimento von Monteverdi, das war zusammen an einem Abend, wurde im Grazer Landestheater gemacht. Damals war Frau Herberstein die Intendantin der styriarte, hat das mit großem Enthusiasmus angepackt, allerdings waren nur zwei Aufführungen, und das ergab ein riesiges Defizit, also war sie gleich wieder weg.
Ach deshalb!
Opernproduktionen müssen überlegt sein! Wenn es nur zwei Aufführungen gibt! Denn die ganzen Vorlaufkosten sind immens. Es war schade, denn es war eine schöne Aufführung. Hollweg hatte den Erzähler im Combattimento gemacht, sehr ausdrucksstark!
Waren Combattimento und Dido szenisch verbunden?
Nein Combattimento stand ganz für sich. Da waren nur die beiden Combattanten in schwerer Rüstung, sehr eindrucksvoll. Die beiden sind ganz langsam aufeinander zu, das war sehr schlicht aber sehr gut, der Kampf dann in Zeitlupe. Für mich war es der erste Monteverdi, den ich gemacht habe. Sehr beeindruckend, denn auch streicherisch gibt es da viele Dinge zum ersten Mal, beispielsweise diesen Tremoloeffekt, (singt es)
Das Concitato?
Genau: stile concitato
Dann will ich fragen: gab es diesen Saul, der in Zürich war, auch in Wien?
Ich war in diesen Jahren nicht bei allem dabei, denn ich war 1980-87 auch Symphoniker, und da ging es sich nicht immer aus. Den Saul haben wir schon konzertant gemacht, da erinnere ich mich.
Paul Esswood war in Zürich der David.
Mit Esswood gab es viel, der war dem NH eine Zeitlang sehr verbunden.
Dann war Giulio Cesare.
Da war ich eben auch nicht dabei!
Von der Produktion schwärmen alle, aber ich war nicht dabei. Das war doch in Frankfurt?
In Frankfurt war es meines Wissens „Castor und Pollux“. War da der Concentus das Orchester, doch nicht, oder?
Ich weiß es nicht. Und auch bei den ersten Monteverdi-Geschichten, die in Zürich waren mit Ponnelle, da war auch der Concentus nicht dabei.
Das weiß ich und ich hatte schon ein Gespräch mit dem Musiker des damaligen Monteverdi Ensembles (Erich Zimmermann, siehe dort!)
Mein erster Monteverdi szenisch war Il coronazione di Poppea in Salzburg.
Ja das habe ich gesehen und es war so wunderbar, der Concentus war da im selben Orchestergraben wie früher die Philharmoniker. Super, mit den schönen Frauen des Concentus, ganz was Neues, Tolles!
Gell das war super! (lacht)
Was nun ist das andere bei Opern, wo der CM im Graben sitzt?
Szenische Produktionen haben eine ganz neue Vorlaufzeit. Da hat man Zeit, in das Werk hineinzuwachsen, sich ganz vertraut zu machen. Auch beim Idomeneo jetzt (Graz 2007) war es so, man hat bei der Premiere die Oper wirklich intus gehabt, jeder von den Musikern. Bei Konzerten geht das schnell, nach ein paar Tagen muss man schon ein Ergebnis präsentieren. Und bei einer Oper…ja, ich habe das gerne.
Allerdings möchte ich das nicht immer machen, als Wiener Philharmoniker (dem Orchester der Wiener Staatsoper, Anm.) wäre ich nicht ideal. So wie es beim Concentus ist, etwa einmal pro Jahr, so ist mir das sehr recht.
Inzwischen Oper einmal pro Jahr, so oft?
Ja wenn man das Theater an der Wien nimmt!
Kehren wir nochmals zu Poppea zurück! Da war ja die Bühne um das Orchester herum gebaut, die Aktionen waren da auch vor dem Orchester und seitlich davon.
Ja! Ich fand das Duett am Ende sooo schön. Sylvia McNair und Philipp Langridge waren so ein wunderbares Paar. McNair hat so eine niveauvolle Kurtisane abgegeben. Das ist ja der Witz an dem Ganzen, sie muss ja ein Niveau haben, um sogar den Kaiser zu betören. Und diese Sängerin hatte dieses Niveau, eine Erotik, die weit über den billigen Effekten steht. Auch von der Inszenierung her war das sehr gut gemacht.
Als nächste Produktion in Salzburg und mit Flimm war der King Arthur von Henri Purcell. Und von der war ich doch etwas enttäuscht. Zwischen den beiden Produktionen lagen elf Jahre. Für uns ist es ja nicht so leicht, in Salzburg hinein zu kommen, da passen die Wiener Philharmoniker schon auf. Ich fand, dass dieser Arthur zu sehr auf den Klamauk ausgerichtet war…
…Flimm hat mir gesagt, er hätte es geliebt.
Ja stimmt, und es ist ja in seiner Weise sehr gelungen. Doch nur als Beispiel: Es gab so eine ganz, ganz innige Arie da drinnen, wo der Michael Schade so eine übertriebene Lederhose anhatte, mit einem Herzerl. Es wurde alles ein wenig, Entschuldigung, auf Deutsch, verarscht. Es gibt aber bei Purcell auch so viel Innigkeit da drinnen, und da muss man umschalten können. Es gibt viel Spaß bei ihm, aber auch tiefen Ernst. Seine Gambenfantasien, wie er geschrieben hat, wie er knapp über zwanzig war… man muss wissen dass dieser Mensch eine solche Tiefe hatte, und das sollte man auch hören dürfen! Ich glaube dass Nikolaus auch dieser Meinung war.
Und er hat sich da nicht eingebracht?
Nein, wenn Nikolaus irgendwo drinnen ist, ist der ganzen Sache gegenüber loyal. Da weiß er ganz genau, das muss in der Zusammenarbeit bewältigt werden, und da gibt es selbst sein Bestes dazu. Ich persönlich glaube, dass er diese Inszenierung auch nicht optimal gefunden hat, aber er hatte das nie geäußert. Das ist eine Hypothese von mir! Es gab natürlich schon berührende Momente: die Schauspieler waren ja sehr gut! Vom Thalia Theater, z.B. Silvie Rohrer: da gibt es eine Szene, wo sie blind ist und dann sehend wird, das war sehr bewegend. Also eigentlich war es so dass in den schauspielerischen Passagen mehr Berührendes war als in den musikalischen, in der Musik selbst war aber schon wieder vorhanden.
Es war eine Art Revue, nicht ganz mein Fall.
Flimm hat mir eben erzählt, dass NH gesagt hätte, das sei das erste Musical der Musikgeschichte, und Flimm meinte dann: das sagst DU mir nicht zweimal.
Ah ja? Ja vielleicht wollten sie das wirklich beide so. Es hat natürlich schon was davon, es gibt Szenen drinnen die kann man nicht ernst machen. Wie die da einem Weg suchen, das ist derart skurril… Im England der damaligen Zeit war das verwoben, man muss nur an Shakespeare denken.
Ja, ich kenne eine Masque von Purcell, die sind ja auch wie eine Show.
Einmal ganz ernst und dann wieder Spaß! Man konnte diese Dinge wirklich verweben, denn offenbar war damals in England der finanzielle Faktor nicht gegeben. Da hat man z.B. ein Theaterstück mit Zwischenmusiken gemacht. Nehmen wir den „Sturm“ von Shakespeare, da kam dann Musik von Matthew Locke oder Purcell o.ä., endlos lang, dann wurde gegessen…
Da waren die Menschen natürlich nicht so konzentriert auf das Gebotene wie heute.
Das natürlich, aber es war unglaublich opulent, ein Fest! Wenn man solche Quellen liest, so ist das unglaublich aufschlussreich.
Aber wie Sie sagen, sowas wäre heute nicht mehr zu finanzieren!
Eben der aktuelle Idomeneo war schon am Rand des finanziellen Fiaskos. Dadurch dass alle Vorstellungen voll waren, ging das dann doch. Mathis Huber weiß was er macht. Man musste ja ein erstklassiges Ballett engagieren, und einen super Chor, Orchester, Solisten…
Dabei war es szenisch schlicht.
Ja, eben kann man heute finanziell nicht mehr so üppig sein.
Zwischen Idomeneo und Poppea war auch noch Haydn: L’anima del filosofo. Das war ja eine echte Entdeckung, niemand konnte sich vorstellen dass eine Oper von Haydn derart toll sein konnte.
Ich bin der Meinung, dass eine der wichtigsten Sachen der letzten Zeit, die NH für die Menschheit gemacht hat, die vollständige Rehabilitation der Opern von Haydn ist. Bei den Symphonien gibt es andere Leute auch, die das sehr gut gemacht haben, natürlich auch die Kammermusik. Aber der Oper, da hat man immer gemeint, im Gegensatz zu Mozart sei das doch gar nicht interessant. Aber Nikolaus, dadurch dass er eine solche Opernpranke hat, bei ihm ist ja jede Kleinigkeit, jedes Rezitativ mit Ausdruck ausgefüllt. Und da hat man dann gesehen, welches Potential in diesen Werken steckt.
Apropos Rezitative: da geht es ja nicht nach dem Takt.
Überhaupt nicht, denn die Taktstriche sind Orthographie, das haben die Komponisten so geschrieben, man konnte ja keinen 5/4 Takt hineinschreiben. Es gibt Quellen, die genau besagen, dass der sprachliche Gestus dominieren muss, alles andere muss sich unterordnen. Also in dem Moment wo ein Rezitativ nicht überzeugend wirkt, kann man es vergessen, egal ob italienisch oder deutsch.
Also der Sprachduktus ist das entscheidende, doch die Tonhöhe bleibt gewahrt.
Die bleibt natürlich gewahrt, aber auch dort darf das Singen nicht überhand nehmen. Auch wenn es schwierig zu singen ist, muss das Sprachliche im Vordergrund bleiben, sagt er.
Und die Accompagnato-Rezitative?
Genau so, das erfordert dann vom Orchester viel Flexibilität, da darf es dann nicht sagen: das was in den Noten steht, das spielen wir. Bei Idomeneo ist ja schon was angelegt. was direkt auf Wagner hinweist, nämlich dass sie Accompagnato-Rezitative direkt nahtlos in die Arien übergehen. Der Schluss von der Ouvertüre geht auch schon ins erste Rezitativ über. Das hat Nikolaus dann so gemacht, dass die letzten Takte der Ouvertüre schon rezitativisch waren, so dass man nicht wirklich sagen kann, wann das Rezitativ anfängt. Das ist die Zukunft der Oper ins 19.Jahrhundert hinein – Wagner hat das dann besonders „deutsch“ (lacht) ausgeführt – dass die Nummeroper verschwindet.
Weil wir grade bei Wagner sind, es ist doch interessant welche Komponisten NH n i c h t dirigiert.
Ich bin garnicht so sicher, ob er nicht doch noch einmal in seinem Leben Wagner machen wird, denn es gibt etwas, was ihn dran interessiert, aber eben auch was, was ihn abstößt.
C.H.Drese träumt davon dass NH noch in Bayreuth den Tristan dirigieren würde…
…es ist halt so, im Moment hat er die Energie total, doch er kann jetzt nicht mehr das ganz Jahr voll planen. Er muss ganz konsequent Sachen auslassen, auch wenn sie ihn reizen würden. Er kann seine Jahre nicht ganz negieren.
Dennoch sagen manche Sänger, er hätte eine schier unglaubliche Energie beim Proben.
Die beschämt einen fast oft. Aber man muss dazusagen, dass der Leiter einer Sache, der, der ansagt, in einer Art rauschhaftem Zustand ist, einer erhöhten Energie von extremer Kreativität, während ein Ausführender anders dran ist. Man beginnt etwas, wird wieder und wieder unterbrochen. Das kostet Kraft. Es sind einfach verschiedene Rollen. Das muss man bedenken.
Zurück zu Haydn: ich finde auch die Dramatik der Chöre und Arien unglaublich.
Ja, und da muss man aufpassen dass man das nicht zu gerade macht, das Gestische…
In späteren Jahrhunderten steht genau in den Noten was man zu tun hat. Bei Haydn ist eine Notation nur eine Annäherung, es muss immer leben, eine Richtung haben, einen Sog wo die Musik hingeht. Dann die Dynamik. Man hat ihn immer ein wenig zu brav gemacht, so Papa-Haydn-mässig.
Er war am Schluss schon ein Papa, aber eben ein Gigantischer. Das Brave gibt es bei ihm bis zum Schluss nicht.
Die Jahreszeiten, ein Alterswerk, was da für eine Kraft drinnen ist!
Ja, es ist eigentlich jung.
In L’Anima hat ja Roberto Saccà damals seinen Durchbruch erlebt.
Ja Saccà! Und die Bartoli war auch toll und die Eva Mei! Ich finde es aber schade dass die Beziehung zwischen NH und der Bartoli so abrupt geendet hat. Ich wüsste gerne warum. Wissen Sie es?
Ich weiß was von einem Mitarbeiter der styriarte. Es ging um eine Honorargeschichte in Stainz ( ich erzähle es)
Sowas habe ich mir gedacht, wobei ich nicht glaube dass das das einzige war. Bartoli als Person ist ja eigentlich reizend! Aber alles hat zwei Seiten, beide sind große Stars. Es gab dann noch was. Ein Konzert wurde auf Video aufgezeichnet, und sie fand dass sie dabei unvorteilhaft aussah. Er hat das damals nicht verstanden, er hatte gemeint, ich habe mein Bestes gegeben, und das ist doch lächerlich, nur wegen dem Aussehen….
Aber man versteht beide Seiten…das Video wurde dann doch produziert, kam auch im TV.
Orlando paladino war auch Haydn, soll ja auch ganz fulminant gewesen sein?
Ja und auch die Symphonien, (wir schweifen ab….)
NH sieht ja die Instrumentalmusik bei Mozart als verkappte Opern.
Das ist immer präsent bei ihm.
Dann Lucio Silla!
Da war folgende Geschichte: das wurde zuerst konzertant gemacht mit einer irren Besetzung: Gruberova, Bartoli, Schreier….einer war besser wie der andere.
Das wurde dann wirklich übertroffen von dieser wunderbaren Inszenierung von Claus Guth. Ich habe ja als Konzertmeister das Glück, so zu sitzen dass ich auf die Bühne schauen kann.
Das Glück haben nicht alle vom Orchester!
Nicht alle! Zuerst war es ein akustisches Problem, denn es gab ein Tunnel nach hinten, und die Sänger waren dadurch immer musikalisch zu spät, und NH kann sich ja nicht teilen, wenn er den Sänger anzieht, gehen alle mit. Aber zum Schluss ging es gut.
(Ich erzähle von Ponnelles Silla in ZH)
Diese römische Optik geht heute nicht mehr, diese Zeit ist vorbei, die moderne Auffassung von Guth war so nahe, so glaubhaft.
Es ist keine halbfertige Jugendoper!
Es ist irrsinnig stark, etwas vom besten des jungen Mozart Und auch abgründig, gar nicht harmlos. Nicht zu fassen, wie er in dem Alter so etwas schreiben konnte
Il re pastore war auch eine der konzertanten Opern.
Da war ich nicht dabei.
Reden wir über Idomeneo nochmals!
Für uns vom Orchester war es besonders interessant, eine eher spätere Mozart Oper zu spielen, und die Tatsache dass Nikolaus selber inszenierte, war natürlich auch spannend, gemeinsam mit seinem Sohn. Es war alles in einer Hand und die Harmonie war toll spürbar! Die zwischen Vater und Sohn und die zwischen Musik und Szene. Es war klar, dass die Szene aus der Musik heraus entwickelt wurde und dass die Musik immer zu ihrem Recht gekommen ist. Ich habe auf diese Weise diese Oper genau kennen gelernt. Auch wenn man sie schon das eine oder das andere Mal gehört hat, kennt man sie nicht, denn sie ist sehr komplex, vielschichtig, anders als Die Zauberflöte oder Don Giovanni. Es war ein wichtiger Punkt in meinem Leben, diese Oper von vorne bis hinten genau erleben, zu proben.
Es ist einfach für ein Orchester wunderbar ein Werk gründlich zu arbeiten, auch wenn der eine oder die andere raunzt über die lange Probenzeit, aber man kann der Sache halt auf den Grund gehen. Es bleiben dann keine Dinge, die so halb sind. Und der Anspruch bei Mozart ist sehr, sehr hoch.
Eine grundsätzliche Frage: Erklärt NH ihnen als Orchester die Bedeutung des Subtextes?
Ja, wo es zeitlich geht schon. Er erklärt es uns auch wenn er einen bestimmten Ausdruck haben möchte. Er sagt uns auch Quellen wo das behandelt wird, Mattheson o.ä….. Natürlich hält er in den Proben keine Vorträge.
Bei Idomeneo ist die Sache insofern kompliziert, weil die Münchner Fassung die eigentliche Fassung ist. Die Wiener Fassung war eine Konzertfassung und wurde so gemacht auf Verlangen der Sänger, auch ein Geigensolo sollte vorkommen. Also er musste Erwartungen erfüllen. Es gibt dann auch die spätere Elektraarie, die ist fantastisch, aber sie stört die Dramaturgie. Am Ende. Das muss man konzertant machen. Das hat NH auch, ein halbes Jahr vorher im Musikverein alle diese Arien konzertant gemacht. Da gab es dann auch dieses Violinsolo mit Michael Schade als Idomeneo.
Es waren ja Musiker auf der Bühne bei der Ilia-Arie, ein wenig abgeschaut von Ponnelles „Entführung“, aber schön!
Die haben das sehr gerne gemacht, hatten keine Hemmung, auf der Bühne zu stehen.
Der Subtext ist ja wohl auch der Grund, warum der Schluss von Idomeneo in einer visionären Sphäre von Zeit und Raum schwebt. Ich war in den letzten Proben, und da hat NH einmal erklärt, dass in dieser Abschiedsrede von Idomeneo so viel Dissonanzen seien wie in der ganzen Oper sonst zusammen nicht…
Ja, die ist unglaublich, dieses Rezitativ….
…und das hat NH veranlasst, da einen Zeitsprung anzunehmen.
So war das! Es ist diese alte Philosophie des Idomeneo obsolet geworden. Idomeneo hält da nochmals eine riesige Predigt, aber niemand hört ihm zu, die sind alle schon ganz woanders. Das ist dieser überzeitliche Faktor. Das merkt man auch schon viel früher im Stück, das Idomeneo am Alten klammert und alle anderen woanders sind. Das war ja auch zu Mozarts Zeit, dass dieses ganze monarchische Gedankengut sich überlebt hat, das drückt er auf diese Weise aus, auch bei Figaro und Don Giovanni.
Mozart hat ja sehr politisch gedacht….
Wie auch Schostakowitsch. Diese Leute haben unterschwellig ihre politische Meinung kundgetan. Das haben die Fürsten oft nicht bemerkt, was das für ein Zündstoff war.
Schön dass wir jetzt mit NH jemanden haben, der das aufzeigt! Und dieses Ballett haben sie sicher überzeugend gefunden?
Ich habe es wunderbar gefunden. Nur ist ein Problem dass man als Orchester mit einem Ballett selten musikalisch wirklich zusammen ist. Die Proben das mit irgendeiner x-beliebigen Aufnahme, und dann haben sie ein Choreografie, die schon relativ fixiert ist, und dann kommt NH mit seinen speziellen musikalischen Auffassungen. Sie sagten dann beispielsweise: dieses Tempo haben wir langsamer geprobt, dann musste NH was machen, was er nicht wollte. Obwohl die Musik gut war, und die Tänzer gut waren. Da hätte man enger und länger zusammen arbeiten müssen, dass die wirklich früher dabei gewesen wären. Oder der Choreograf sich besser informiert hätte. Das Zusammenkommen fand zu einem Zeitpunkt statt, wo die Proben auf beiden Seiten schon zu weit waren.
So jetzt muss ich aber zur Probe.
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
Jonas Kaufmann - Interview mit Anna Mika -01.2009
ein violetter Dunst und ein Tiger, der ein Butterbrot schmiert
Anna Mika: Wie sind Sie zu Nikolaus Harnoncourt gekommen? Ich nehme an es war im Rahmen Ihres Engagements in Zürich?
Jonas Kaufmann: Das ist richtig! Herr Harnoncourt hat ja Zürich als eines der wenigen Häuser auserwählt, außer der styriarte Graz vielleicht, wo er regelmäßig Oper macht – eine Besonderheit! Dazu kommt, dass er sozusagen mit seiner eigenen „Band“ spielt, mit einer Orchesterauswahl. Das ist eine ganz große Besonderheit, dass sich ein Opernorchester fähig und verpflichtet fühlt, sowohl auf alten als auch auf modernen Instrumenten zu spielen. Und das nicht irgendwie, sondern sie gehen anständig damit um.
Richtig, in Zürich haben wir uns zum ersten Mal getroffen!
Ich erinnere mich an eine Premiere mit Ihnen, es war Ulisse von Monteverdi, wo sie den Telemach gegeben haben. Wie war die Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt und dem Regisseur Karl-Heinz Grüber?
Uh, das ist schon ein paar Jahre her! (Denkt nach) Ich kann mich erinnern dass sich die beiden im Vorfeld intensiv zusammen mit dem Stück befasst haben. Ich glaube nicht, dass Herr Harnoncourt eine Regie blind abnickt und sich nicht in den Entstehungsprozess mit einbringt. Das ist auch sinnvoll so. Es hat keinen Sinn, die Augen zu zu machen und dann im letzten Moment die Notbremse zu ziehen. Was natürlich im Falle Grüber nicht nötig war, denn er ist ein alter Theaterhase, und er hat eine trotz seines Alters eine kindliche Fantasie, mit der er an das Stück herangegangen ist. Und ich glaube dass es eine ausgesprochen schöne Produktion geworden ist, mit wunderschönen einfachen Bildern, sehr farbenreich gezeichnet. Ja, eine sehr schöne Produktion!
Und natürlich musikalisch ein tolles Erlebnis!
Waren Harnoncourts musikalische Ansichten für Sie überraschend oder eine Herausforderung?
Natürlich ist das im ersten Moment überraschend! Harnoncourt ist ja bekannt dafür, dass er die Dinge nicht konventionell macht, davon muss man schon einmal ausgehen. Es rührt ja seine Bekanntheit letztlich daher, dass er neue Wege beschritten hat, dass ihm keine Mühe zu groß ist, herauszufinden, was die teils Jahrhunderte alte, so genannte Tradition angerichtet hat, was den Blick auf den wahren Kern des Musikstückes verstellt hat. Harnoncourt ist und war der große Vorkämpfer, der Hörgewohnheiten neu an uns herangebracht hat – auch mich extrem überzeugt hat. Wir haben ja viele andere Stücke auch zusammen gemacht – Fidelio war zum Beispiel extrem anders als man Beethoven zuvor gehört hat. Details, die man vorher nie gehört ahnen konnte kamen da plötzlich zum Tragen. Wenn man sich darauf einlässt, ist das eine richtige Abenteuerreise, in der man die Dinge neu entdeckt.
Was für eine Sicht auf die Rolle des Telemach (in Ulisse) haben Sie?
Es ist ein eher schwacher Charakter. Taucht nicht viel auf, ist als Sohn ja eher passiv dabei, versucht seine Mutter zu trösten und sie in ihrem Leid zu unterstützen, aber viel mehr ist da nicht zu erwarten. Nicht zu vergleichen mit einem Charakter wie Ulisse oder Poppea.
Die Herausforderung, die die Rolle für Sie persönlich war?
Es ist eher eine Rolle, die im Schatten steht, das Ziel ist, einen einprägsamen Charakter zu formen. Man nimmt eine kleinere oder mittlere Partie nicht an, um dann unter „ferner liefen“ zu bleiben, sondern man nimmt sie im Gegenteil an, um daraus etwa Individuelles, etwas mit einer persönlichen Note zu machen. Und das – so hoffe ich – ist mir selbst in diesem Fall gelungen.
Eine weitere Partie von Ihnen in einer Monteverdi Oper war der Nerone in Poppea. Das war ja eine ziemlich umstrittene Inszenierung, wie haben Sie sie erlebt?
Ich habe diese Inszenierung hautnah erlebt und habe von Umstritten überhaupt nichts erlebt, das muss ich gleich einmal sagen. Im Gegenteil bin ich sehr begeistert von der Produktion gewesen und das Publikum auch, es gab keinesfalls Buhstürme. Man kann die Inszenierung ja nicht mal „modern“ nennen, denn sie war weder provozierend, noch abstoßend noch diskriminierend, nicht in irgendeiner Weise anstößig. Sie hat das Stück in die Moderne gerückt, aber sie hat den Charakter, die Idee oder gar den Inhalt des Werkes auf keinen Fall verstellt. Ich glaube im Gegenteil, dass dadurch vieles sehr klar wurde, was bei mehr Pomp verstellt worden wäre. Was sich im Haushalt eines römischen Kaisers abspielt, könnte man sich vielleicht so vorstellen. Eine äußerst schöne Produktion! Natürlich gab es Stellen, bei denen der eine oder andere Purist das Gefühl hatte, auf den Schlips getreten zu werden, ich kann das aber nicht nachvollziehen. Es gab zum Beispiel eine Szene wo der Kollege Rudolf Schasching und ich ein Männerduett gesungen haben und diese Szene ziemlich eindeutig auf eine homoerotische Beziehung hinauslief. Doch in der damaligen Zeit ist das eine völlige Selbstverständlichkeit gewesen, in unserer heutigen Gesellschaft sind diese Dinge so tabuisiert, dass man meint, das wäre etwas Anrüchiges.
Und außerdem ist das Duett, das die beiden Herren da singen, ziemlich eindeutig in Richtung eines Liebesduettes komponiert. So ist die Interpretation von Jürgen Flimm durchaus gerechtfertigt, und selbst Harnoncourt, der zuerst etwas irritiert war und gemeint hat „ ja wos machts ihr denn do, wos is denn des?“ hat dann Gefallen dran gefunden. Es war ja nicht wirklich ernst, hat sich ja niemand ausgezogen oder so.
Wie fühlte sich bei Ulisse und Poppea der Klang des Originalklangorchesters aus Sängersicht an?
Ein riesigen Unterschied zu einem herkömmlichen Orchester, es ist fantastisch! Ich hab Leute gehabt, die haben nie eine Oper gesehen. Die habe ich in diese Inszenierung geschickt, in den Ulisse, und ich hab das mit gemischten Gefühlen getan, weil ich wusste dass das etwas Spezielles ist, keine Mainstreamgeschichte. Und dass man da durchaus als Liebhaber des großen Pomps ein paar Entzugserscheinungen haben kann. Aber diese Leute waren sowas von begeistert und gerührt! Wenn man eben nicht mit irgend welchen vorgefassten Meinungen in diese Interpretationen von Harnoncourt kommt, wird einem so viel klarer und deutlicher, was für eine Kraft diese Interpretationen erschließen. Aber wenn man ein Gewohnheitsmensch ist und diese Fortissimoklänge eines großen Orchesters mag, braucht man vielleicht ein paar Minuten, um sich hinein zu hören in diese Dynamik eines Barockorchesters. Doch in dem Moment, wo man sich einmal darauf eingelassen hat, ist das sowas von berührend, es hat eine ungeheure musikalische Intensität und die Gefühle werden mit so einfachen Mitteln so klar und deutlich ausgedrückt, dass man sich fragt: wozu brauche ich den Orchesterapparat eines Mahler oder eines Puccini, wenn doch mit so wenigen Mitten auch geht, Natürlich gehören dazu hervorragende Musiker und ein so begnadeter Interpret wie Nikolaus Harnoncourt.
Wie ging es Ihnen mit dem Recitar cantando, der Harnoncourt ja besonders am Herzen liegt?
Das ist absolut die richtige Richtung! Wenn man das sehr zarte zerbrechliche, ja dünne Gerüst dieses Orchesterklanges hat, so hat man auch einen entscheidenden Vorteil. Je schlanker man singt, desto flexibler ist man. Und diese Flexibilität muss man unbedingt nutzen. Wenn man auf diese zarte Begleitung ein fest zementiertes strenges Heruntersingen setzt, so kann es zu keiner großen Wirkung kommen. Also die Chance nutzen und das von Harnoncourt propagierte Recitar cantando einsetzen! Das bedeutet dass der Text hundertprozentige Priorität in jedem Moment hat. Harnoncourt hat halt diese Prinzipien, die mir sehr einleuchten, beispielweise wenn ein Wort wiederholt wird, dann darf man nicht meinen, es ist nur eine Wiederholung – in dem Sinne dass vielleicht der Satz zu kurz war um auf die Melodie zu passen, also nimmt man halt noch einmal, sondern es muss eine neue Qualität sein, es muss etwas hinzufügen, es muss eine weitere Dimension eröffnen, wenn man es wiederholt. Nicht sagen, ja dann sag ichs halt zweimal!
Das zweite ist, und ich verdanke ihm sehr viel, durch seine Führung für mich Musik, richtige Musik nur dann entsteht, wenn nicht alle, völlig synchron wie von einem Computer getrieben, ihre Noten abarbeiten. Musik kann nur dann leben und berühren, wenn sie ihre Lebendigkeit dadurch ausdrückt, dass sie nicht gleichmäßig, nicht egal ist, sonder individuell. Das bedeutet, dass jeder Ton, jede Note um eine Winzigkeit von der Präzision abweicht. Diese kleine Winzigkeit macht die Musik lebendig, und da entsteht ein ungeheuer dynamisches Gebilde. Ich erinnere mich, wir haben Konzerte mit den Wiener Philharmoniker gemacht, da hat er einen Vortrag gehalten, und gemeint: „Sie werden jetzt alle wieder sagen: der Harnoncourt, der probt nicht, der redet nur immer. Und trotz dem ist es wichtig dass ich Ihnen das sage.“ Ich bin überzeugt, die Philharmoniker haben nach dieser Rede gewusst, dass sie nicht umsonst war. Er hat ihnen also erklärt, warum beim Geigenstrich dieses Vale und Male, der Auf- und Abstrich also, so bedeutend ist. Lehrer versuchen ihre Schüler seit Jahrhunderten drauf zu trimmen, dass der Auf- und Abstrich völlig identisch klingt. Die Idee ist, man hat zwei verschiedene: einen sehr vollen satten und einer eher dünnen, ja zittrigen Strich, und sie setzt man entsprechend ein um mit diesem Mitteln die Wiederholung eines Tons nicht gleich klingen zu lassen sondern in eine bestimmte Richtung zu bringen, Es mache einen riesigen Unterschied, ob ein Auf- oder ein Abstrich gespielt wird. Und wenn ein Dreivierteltakt ist, so dürfen diese drei Viertel nicht ba ba ba, also gleich klingen, sondern müssen jedes seinen individuellen Platz und seine individuelle Zeit bekommen, gemeinsam eine Lebendigkeit in die Musik zu bringen. Das ist ganz klar, dass bei einer Barockbesetzung, also die Besetzung die Harnoncourt bei Monteverdi gewählt hat, die Voraussetzungen ideal sind, dieses Recitar cantando und diese hundertprozentige Hingabe an die Textinterpretation überhaupt zu erreichen.
Es gab eine Fidelio-Wiederaufnahme mit ihnen als Florestan, die auch auf DVD zu sehen ist. Wie kamen sie da mit den ganz speziellen Tempi von Nikolaus Harnoncourt zurecht?
Ich muss zugeben, ich hatte bei dem Fidelio anfänglich meine Schwierigkeiten mit den Tempi, keine Frage! Fast alles weit außerhalb des bisher gewohnten Maßes.
Wie eingangs schon erwähnt, habe ich so viele neue Details darin gefunden, ja eigentlich neue Musik in diesem Stück gefunden, die ich so vorher nie gehört habe. Und man muss dazu sagen, Harnoncourt macht nie etwas, ohne es zu begründen. Er würde nie jemand zwingen, ein Tempo, eine Artikulation, eine Dynamik auszuführen, ob das singen oder spielen ist, ohne es hinreichend zu begründen. Was mir sonst oft sehr abgeht! Ich sitze oft in einer Konzertprobe und würde gern, weil es der Dirigent nicht tut oder tun will, dem Orchester erklären, worum es in dem Stück eigentlich geht und was man – nicht nur dynamisch oder so – sondern an emotionalem Ausdruck erreichen möchte. Und ich denke, wenn das allen klar ist, dann funktioniert es. Bei den Proben zu Fidelio, in einer Sitzprobe, die Arie der Leonore mit den wunderbaren Hornstellen, die bekanntermaßen sehr gefürchtet sind, hat er das Rezitativ geprobt. Die Sopranistin singt „…rührt nichts mehr deinen Tigersinn“. Danach kommt Orchesterakkord, und der klang da eher schwach. Harnoncourt unterbricht und fragt: „Haben Sie schon einmal einen Tiger gesehen, der ein Butterbrot schmiert?“ Das Orchester lacht, sagt natürlich „nein“ und „warum“. Er sagt: „Weil Sie das so gerade gespielt haben. Ich will die Krallen des Tigers und nicht den Tiger, der gerade frühstückt.“ Und da kam natürlich dieser Klang sofort anders, er sagt nicht: mehr Stakkato oder die Saiten anreißen, halt ein technische Erklärung. Er hat ein Bild gebraucht, und der Vorteil davon ist, dieses Bild wird immer in der Köpfen sein, so lange die Musiker dieses Stück spielen. Es funktioniert sofort. In derselben Arie, die Hörner haben eine sanften Einsatz gehabt, und er versuchte ihnen zu erklären, noch weicher, noch hauchiger, es hat einfach nicht geklappt. Und dann sagt er: „eigentlich ist es ganz einfach, Sie spielen mir jetzt einen violetten Dunst.“ Und so sehr dieses Beispiel auch abwegig erscheinen mag, es hat sofort funktioniert. Denn es muss diffus nebulos klingen, flirrend – also violett. Das Ergebnis war unglaublich! Das ist Harnoncourt. Er sagt nicht einfach: sie müssen das so und so spielen, sondern es wird begründet, und es wird unterfüttert mit Emotionen, und es wird unterfüttert mit Hintergrundwissen, auf der Basis – es musizierte sich so wesentlich leichter.
Die Rolle des Florestan speziell? Ist er der Gute oder weiß man seine Vorgeschichte nicht. Lobgesang der Gattenliebe oder Freiheitsdrama?
Nun, Sie wissen ja, dass das eine reale Geschichte ist, die da erzählt wird, wenn sie auch sehr unwahrscheinlich erscheint. Ich frage mich immer als Florestan: „Gibt es da noch eine andere Dimension“ Wenn es die nicht gäbe, hätte ich vielleicht ein Problem mit dieser Partie. Sie wäre einfach ein bisschen langweilig. Der darbt und leidet und fantasiert vor sich hin und ist fast am Sterben, zum Tod bereit. Wird dann von seiner Frau gerettet, kann erst nicht glauben dass es seine Frau ist. Dann glaubt er es und freut sich. Mit Harnoncourt hat er sich nicht wahnsinnig gefreut. Und er hat recht, denn wenn man jahrelang im Kerker sitzt und wird plötzlich gerettet, dann springt man nicht auf und sagt, „Super, Wahnsinn“, sondern das braucht lange, bis sich solch ein Gedanke gesetzt hat, bis man es fassen kann. Dem entsprechend ist dieses wunderbare Duett sehr getragen und zumindest im ersten Teil sehr piano, weil diese Freude die man da beschreibt, noch garnicht begreifen kann. Das hat mir auch dann sehr eingeleuchtet und so bin ich dieser Idee gefolgt. Aber: die Idee ist natürlich immer da: Was war der Florestan? Es gibt da zwei Dinge, die interessant sind. Der Florestan sagt in einer seiner Arien, wiederholt es sogar mehrmals: „Meine Pflicht hab ich getan“. Das bedeutet; hm, will er sich vielleicht seine Hände in Unschuld waschen. So: hab ja meine Pflicht gemacht, was ein bisschen verdächtig erscheint.
Das andere: „Der Pizarro singt in seiner Arie: „Den Mörder selbst zu morden“, das bedeutet. Florestan ist ein Mörder, den Pizarro nun umbringen will. Da stellt sich die Frage: hat Florestan einen anderen politischen Gegner umgebracht? Oder hat im Auftrag gehandelt und ist in die Mühlen von Intrigen geraten. Meine Idee ist ein bisschen: Es könnte sein, dass der Florestan der Vorgänger des Pizarro war. Das heißt, er ist der letzte Polizeichef, der vorherige Ausübende der Exekutive gewesen, der dann in Ungnade gefallen ist, weil das Volk dann offensichtlich aufgestanden ist. Einen muss es ja treffen, die so genannte politische Verantwortung hat dann der Florestan, und so ist er ins Gefängnis gekommen. Dann ergibt sich die nächste Frage: weiß der Minister – also ist das ernst gemeint – dass er den Totgeglaubten im Gefängnis wiederfindet? Also Sie sehen, es ist eine verzwickte, kompliziert Geschichte. Ich glaube nicht dass Florestan ohne eine moralische Verwicklung, Schwierigkeit im Gefängnis gelandet ist. Wenn es so wäre müsste ich sagen: sehr langweilig!
Sie sind in Zürich ganz kurzfristig in die Zauberflöte – die Premiere der Inszenierung Kušej – eingesprungen; wie war Ihr Eindruck von dieser speziellen Auffassung des Werkes?
Ich habe es am Morgen erfahren dass ich am Abend auf der Bühne stehen werde, also hatte ich keine Ahnung von der Inszenierung. Ich hatte das Glück, dass ich vorher schon mit Kušej gearbeitet hatte, der in seinen Inszenierungen schon ein gewisses Schema erkennen lässt. Es läuft immer auf bestimmte Ideen hinaus. Das soll keine Kritik sein, für mich war es in diesem Falle ein Vorteil. Und das gleiche gilt für Harnoncourt. Mir war klar – ich bin auch einmal in Salzburg für den Titus eingesprungen, wusste also auch schon von seinen Mozart Interpretationen – dass er kein großer Fan vom Durchsingen ist, also dass er nicht ohne Punkt und Komma den Schöngesang pflegt. Er reißt gerne die Strukturen auf, und spontaner, individueller – da sind wir wieder beim Recitar cantando – ein bisschen sprunghafter, überraschender das alles macht, Mit diesem Wissen war ich sehr gut dran. Einer, der nicht mit ihm gearbeitet hätte, hätte Bauklötze gestaunt, dass beispielsweise mitten in einem der Stücke eine Unterbrechung ist, und man wartet bis es weiter geht. Oder die Tempi in der Nummer sich verändern. Ich habe das sehr genossen, ich habe einen großen Spaß gehabt, diese Aufführung zu singen, auch zu spielen, das ging alles sehr reibungslos. Gott sei Dank kannte ich auch alle Kollegen, das macht viel aus, wenn man sich persönlich gut kennt. Insgesamt war es eine interessante Erfahrung, aber für mich eine, muss sagen, vorauszusehende Interpretation.
Ich hatte zuvor den Tamino nie mit Harnoncourt gesungen und habe ihn nie die Zauberflöte dirigieren sehen oder hören. Es war die Premiere einer neuen Interpretation und war natürlich eine Überraschung. Es gab auch so manche Überraschung, die ich in kürzester Zeit verarbeiten musste. Das gab es bei den Arien, bei den Ensembles. Auch wenn andere singen, ist es ja nicht so dass man unbeteiligt daneben steht. Ich war z.B. sehr überrascht und durfte das um Gottes willen nicht zeigen, vom Tempo der Pamina-Arie. Ich habe mich hinterher darüber unterhalten können, was da der tiefere Sinn ist – wie gesagt, Harnoncourt macht nichts ohne genaue Untersuchung der Tatsachen – aber das war für mich eine große Überraschung, weil das Tempo sehr flott war und man auf der Bühne auf dem falschen Fuß erwischt wird.
Habe ich eine Partie vergessen, die Sie mit Harnoncourt gemacht haben?
In Salzburg bin ich eingesprungen in den Titus, habe Konzerte mit den Philharmoniker gemacht, und manches ist leider aus verschiedenen Gründen nicht zustande gekommen.
Weitere Pläne?
Nichts Konkretes. Aber ich bin überzeugt dass das nicht die letzten Taten waren. Es gibt sicher wieder eine Gelegenheit, zusammen zu musizieren.
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
Erich Zimmermann - Interview mit Anna Mika -11.2008
„Kontrabässe sollen wie Staubsauger klingen“
Erich Zimmermann war bis zu seiner Pensionierung Fagottist, auch Barockfagottist, des Opernorchesters Zürich. Im Monteverdi Ensemble spielte er den Dulzian. Von der ersten Aufführungen an, die Nikolaus Harnoncourt im Opernhaus Zürich leitete, war Erich Zimmermann mit dabei.
Herr Zimmermann, wie kamen Sie zum Monteverdi Ensemble?
Es hieß vor der Spielzeit 1975, dass Monteverdi kommen sollte. Das war etwas ganz und gar Ungewöhnliches zu dieser Zeit, und das noch dazu mit Originalinstrumenten. Jeder der damals ein Barockinstrument in die Hand nahm, wurde von den normalen Musikern als Spinner ausgelacht, das war damals so die Meinung.
Und da hing dann im Opernhaus im Orchesterraum eine Liste aus, da konnte man sich eintragen, wenn man bei diesem Monteverdi Ensemble dabei sein wollte. Ich trug mich sofort ein, denn ich hatte schon Erfahrung mit dem Barockfagott. Ich hatte nämlich einmal einen Nachbar, der ganz fanatisch mit der Barockoboe war, und später wurde ich von einem Dr. Johannes Schoop aufs Barockfagott eingeführt. Es bestanden ja damals schon Kontakte von manchen Zürcher Musikern zur Schola cantorum in Basel, da gab es die Alte Musik ja schon länger.
Also, wie gesagt, ich trug mich in diese Liste ein, und dann, stellen Sie sich vor, war mein Name ein ganzes halbes Jahr der einzige drauf. Und man hat mich ausgespottet: Willst Du da Teil eines Misserfolges sein? Als ich dann Teil des großartigen Erfolges dieses Monteverdi Zyklus’ wurde, traten die Neider auf den Plan, und ich wurde so gemobbt, sodass ich schon Ausschau gehalten habe nach einem anderen Orchester. Ich bin dann schließlich geblieben. Hatte geplant nach Venedig ins La Fenice zu gehen, doch die Bezahlung dort war unglaublich schlecht. Venedig liebe ich, habe dort oft als Solist Vivaldi gespielt.
Später trugen sich dann auf diese Liste noch einige Streicher ein.
Zeigt Programmhefte, wo ein Bild von ihm mit dem Dulzian drin ist.
Ich habe mich für Monteverdi mit dem Dulzian befasst, das war ja da das gegebene Instrument.
Die Musiker gingen ja da auch auf die Bühne, und Sie alle hatten Kostüme an…
Ja, ich war auch auf der Bühne. Bei Poppea hatte ich so ein Spiel mit der Arnalta, so eine Art stummer Dialog, ein Hin und Her.
Ich war von Anfang an fasziniert von der Person Nikolaus Harnoncourts. Er war ja menschlich so nett, war ganz anders als die anderen Dirigenten, einer unter Gleichen, nicht der große Boss. Und auch Ponnelle war so. Er kam einmal zu mir und erkundigte sich, ob der Kragen von diesem Renaissancekostüm schon bequem genug zum Blasen sei. Und als ich meinte, etwas weiter dürfte er schon sein, wurde er sofort umgeschneidert.
Kamen auch Musiker vom Concentus ins Monteverdi Ensemble?
Nur ganz wenige, natürlich Alice. Eine großartige Frau, und so eine gute Geigerin!
Das Musizieren mit Harnoncourt hat so eine unglaubliche Freude gemacht, es war richtig erfrischend. Das war kein Dienst, man hatte einfach Freude. Ich war mir immer bewusst dass ich da an ganz etwas besonderem Teil habe, von allem Anfang an.
Als der Monteverdi Zyklus mit all den Gastspielen zu Ende war, hat Nikolaus Harnoncourt einen Brief an das gesamte Orchester geschickt und sich bedankt. Und stellen Sie sich vor, als ich eines Tages in den Orchesterraum komme, liegt dieser Brief am Boden und ein Fußtritt ist drauf! Dann habe ich gedacht, wenn da so respektlos damit umgegangen wird, nehme ich ihn an mich. Und der Brief ist bis heute mein großer Schatz. (Zeigt ihn, aber der Fußtritt hat sich aufgelöst, vermutlich weggebröselt wegen der Trockenheit)
Ja, und dann kam Mozart, der Idomeneo. Da hatte er dann ein modernes Instrumentarium, ich spielte aber das Barockfagott. (siehe später)
Ich habe damals den Harnoncourt um Unterstützung gebeten wegen dem Rohr, und er hat mir die Beratung vom Fagottisten des Concentus vermittelt.
Apropos Mozart: Bei der Finta Giardiniera 2006, da habe ich mir erlaubt, ein kleines Aufnahmegerät bei der Probe laufen zu lassen. Und da sagt Harnoncourt bei der Ouvertüre mal: „Die Kontrabässe müssen klingen wie Staubsauger!“ Und wirklich, sie klangen ganz anders daraufhin, wirklich wie Staubsauger.
Es ist für mich sehr schwer gewesen, nach Harnoncourt mit anderen Dirigenten Mozart zu spielen. Auch Welser-Möst hatte letztlich keinen Zugang zu Mozart.
Und dann beim Fidelio! Da kommt doch das Grabeduett im Kerkerbild, und da spielen die Fagotte eine ganz markante Passage mit dem Kontrabässen zusammen. Und meine Idee war immer, dass da das Fagott bei den Kontrabässen sitzen muss und nicht bei den Bläsern. Als ich das bei meinem ersten Fidelio dem Ferdinand Leitner vorschlug, hat er davon nicht wissen wollen. Und dann habe ich es Harnoncourt vorgeschlagen, und der war sofort einverstanden. Also saß ich im Fidelio in der ganzen Produktion bei den Kontrabässen, sogar wenn nicht ich spielte, sondern der Kollege, war das so. (Diese selbe Sache hat mir Harnoncourt einmal selbst erzählt, er fand das offenbar auch bemerkenswert)
Ja, und dann gab es auch diese Produktionen, die ich Versuche nenne:
Zigeunerbaron war ein Versuch, er war erweitert, es war so etwas wie die Originalfassung.
Der Regisseur hat die Regie nicht fertiggemacht, wissen Sie da Näheres?
Nein, was war da?
Dem Publikum wurde gesagt dass die Regie nicht fertig wurde, dass Regisseur Jean-Louis Martinoty zu wenig Probenzeit erhalten hat und es Missstimmung deswegen gegeben hat. Es gab Szenen, wo alle Akteure einfach nur dastanden. Das, was inszeniert war, war toll.
Wir haben uns schon gewundert, aber das bekommt man ja aus dem Graben nicht so mit.
Ein anderer Versuch war die Aida. Ich habe zu Hause die Aufnahme mit den Wienern, die ist ganz toll (Ich, die Bloggerin, habe zu dieser Aufnahme einen Booklettext beigesteuert, kleine stolze Anmerkung). Harnoncourts Konzept ist, dass das keine Arena Oper, sondern etwas sehr Intimes ist. Das stimmt ja. Aber hier in Zürich kam das nicht so durch, von seinem Konzept her. Er hat da wohl noch gesucht.
Er hat sich ja damals, im Kontext mit der Wiener Aufnahme. auch mit dem Verdi Requiem beschäftigt!
Ah ja? Aber da war etwas, was ich überhaupt nicht verstehe, er hat einmal ziemlich lange vor einem Schluss einfach aufgehört zu dirigieren, stand da und ließ einfach die Arme unten. Und dann war ich bei der Premierenfeier, und ich hörte wie der Konzertmeister Frank Gassmann zu Frau Harnoncourt sagte: „Sagen Sie bitte Ihrem Mann, es hätte noch eine Seite zu fertig dirigieren gehabt.“ Ich habe nie herausgefunden warum er da nicht fertig dirigiert hat. War er so erschüttert? Ich weiß es nicht.
Ich erinnere mich, dass er bereits im ersten Teil ausgebuht wurde.
Jaaaah, das sind die Nello-Santi-Fans, die Traditionalisten, die haben es so nicht gemocht. Aber wie auch immer, diese Aida war keine glückliche Sache.
Wo er doch sonst in Zürich vom Publikum auf Händen getragen wurde, ganz im Gegensatz zu Wien.
Wie heißt dieses Buch, wo er an einem Baum lehnt?
Seine Biografie „Vom Denken des Herzens“
Ja, da hab ich mich sehr gewundert, dass Zürich praktisch nicht vorkommt, das finde ich enttäuschend.
Das ist mit ein Grund, warum wir dieses Buch schreiben
Genau, das fehlt!
Ja und auch Amsterdam! Zürich und Amsterdam haben ihm den Weg geebnet. Wien nicht.
Die Wiener sind ein eigenes Volk, missgünstig, das wusste auch Drese. Hier ist das ein Klacks gegen die Intrigen in Wien.
(Wir schweifen ab……………)
Dieses Wohlbefinden, wenn man nach einer Oper rausgeht! Ich vermisse die Oper in meiner Pension, die Intrigen vermisse ich nicht. Der Mensch macht so viel Mist, die Musik wie alle Künste sind das Gute.
(erzählt aus seiner Kindheit wie er zur Musik kam)
Als ich bei Harnoncourt mitmachen konnte, da hatte ich sofort das Gefühl, das ist etwas Großes!
Auch menschlich war es wunderbar, aber auch bei Ponnelle. Er ist ja da in Tel Aviv verunglückt, aber schon vorher habe ich beobachtet dass er gern getrunken hat, hat die Assistenten um Wassergläser voll mit Whisky geschickt, er kommt ja aus einem Weinhaus. Er wurde dann sehr dick.
Die Zauberflöte, da gab es ja Probleme zwischen Orchester und Regie
Genau, mit dem Wurm, da sind die Kinder, die diesen Wurm bildeten, auf einer ganz schmalen Brücke über das Orchester gelaufen, das war gefährlich. Noch vor der Premiere wurde das geändert.
Eine tolle Zauberflöte, eine beeindruckende Ästhetik, eine Einheit von Musik und Szene, ich mag diese ganz modernen Inszenierungen nicht.
Wir hatten irgendeine Verdi-Oper, da waren all im Anzug und mit Köfferchen. Und da gehe ich auf die Bahnhofstraße und dieselben Leute kommen aus der Bank heraus, das brauche ich nicht!
Jetzt erinnere ich mich noch an ein Gefühl, vielleicht ist das gewagt es überhaupt zu sagen, aber von Anfang an hatte ich bei Harnoncourt ein familiäres Gefühl, das hatte ich nie bei einem anderen Dirigenten. Als ob ich zu seiner Familie gehören würde. Er weiß das nicht. Aber Weihnachten schreibe ich, und Alice schreibt zurück und er unterschreibt. Dieses Gefühl ist sicher einseitig, aber bei mir ist es einfach da! Und die Zeit wie der Sohn verunglückt ist! Da habe ich mit ihnen gelitten.
Er hat ja damals grade bei Ihnen der Zigeunerbaron dirigiert.
Der Sohn war mit dem Auto unterwegs, wollte jemanden helfen und wurde überfahren. Und sein Bruder, der Franz, hat genau dieselbe Stimme wie ER. Eine interessante Familie!
(wir erzählen über die familiäre Herkunft von Harnoncourt)
Ja diese Nobilität, die merkt man ihm an, und trotzdem ist er immer einfach geblieben. Er hat ja immer karierte Hemden an, aber meine Frau mag das nicht. Sie sagt immer: Harnoncourt-Hemden kommen mir nicht ins Haus.
Da gab es ja noch weitere barocke Opern mit Harnoncourt!
Ja richtig, ganz vergessen. Ja, dieser neue Ulisse, den habe ich gespielt, aber einige von den Kollegen wollten nicht mehr, denn sie hatten die Erinnerung an früher. Ich habe die Inszenierung auch nicht mögen.
Aber bei der zweiten Poppea, da hat mich ein Kollege verdrängt. Die Inszenierung war aber auch nix. Ich habe mich gewundert, dass kein Orfeo kam 2007, vierhundert Jahre Gründung der Oper überhaupt, man hatte Pereira sogar darauf aufmerksam gemacht.
Und L’anima del filosofo von Haydn?
Ja genau, wunderschön. Haydn wird immer noch unterschätzt, auch als Opernkomponist, er kommt nicht wirklich heraus. Wie bei Schubert, da liegt es mehr am Stoff…
Aber Alfonso und Estrella und auch Des Teufels Lustschloss waren doch großartig! Glauben Sie wirklich, das ist ein schlechter Text?
Ja vielleicht läuft zu wenig auf der Bühne, es ist mehr inwendig.
Da will ich eine Anekdote erzählen: Schuberts Lustschloss Samstagmorgen Probe: das erste Fagott, die Kollegin, war krank, also spielte ich es, hätte eigentlich zweites spielen müssen. Er rief immer: mehr zweites Fagott, bis ich sagte, der ist heute nicht da, dabei wäre das ja ich gewesen. Das hat er nicht kapiert, er hätte fragen können, was machen Sie am ersten Fagott.
(Geht um den Brief mit der Schuhsohle und um eine Anekdotensammlung wegen „Gärtnerin“, die ich schon habe.)
Ich habe von 1975 bis 2006 im Opernorchester gespielt, die ganze Harnoncourt Phase mitgemacht, und es war mir immer bewusst dass das etwas Einmaliges ist.
Harnoncourt ist anders als alle andern. Bei ihm gibt es eine Entwicklung im Verlaufe der Arbeit, er selbst entwickelt sich.
Ich erzähle nun eine ganz gegensätzliche Geschichte. Ich war ganz jung und Tonhalle und Oper hatten noch ein einziges Orchester, das hat sich ja im Jahr 1983 getrennt. Karl Böhm hat Brahms Klavierkonzert Nr.1 dirigiert. Das fängt ja mit einem Hornsolo an, das wunderbar gespielt wurde, Böhm bricht ab, sagt noch einmal! Ohne Begründung. Der Hornist spielts wieder, Böhm sagt; noch einmal. Nicht bemängelt, nicht gesagt gut, einfach noch mal. So ging das viermal. Da ist der Hornist aufgestanden, hat sein Horn unter den Arm genommen und gesagt: Herr Professor! Ich spiele dieses Solo heute nur noch einmal, und zwar heute abend beim Konzert. Denn mir kann nichts mehr passieren, da ich morgen in Pension gehe.
Das ist gut!
Sehen Sie, das war nur zum Schikanieren, kein gutes Konzept.
Sie habe sicher auch die ganzen Gastspiele bei Monteverdi mitgemacht, sie hatten ja eine Art Bühnenrolle.
Ja natürlich. Die Posaunen hatten im Ulisse sogar eine große Rolle. Bei mir wars nicht so groß. Hier habe ich das Programmheft von der Scala
Aha, von allen drei Opern!
Hier Hamburgische Staatsoper! Und hier ein Buch mit all den Gastspielen, und dann hier die Briefmarken, die dazu erscheinen sind.
Oh wie schön! Harnoncourt hat ja sein gänzliches Debüt als Dirigent an der Scala gegeben!
Ja genau, an der Piccola Scala.
Und diese Medaillons die sie da im Bühnenbild sehen, die kann man in Venedig an Kirchen sehen z.B. an der Santa Maria Formosa.
Die Intendanz Christoph Groszer war konzeptionell nicht so gut, Drese war großartig, Germanist, gebildet, und er hatte diese großen Ideen. (siehe Interview mit Drese)
(Gespräch über die jetzigen Zustände an der Wiener Staatsoper, dass da nicht geprobt wird)
Wir haben ja im Theater an der Wien gespielt in unseren Gastspielen, nicht in der Staatsoper.
Harnoncourt hasst Rossini! Ich auch, und Berlioz mag ich auch nicht. Beide sind unorganisch.
Ich sammle alle meine Programme, habe zusätzlich gespielt mit dem Collegium unter Paul Sacher und im Zürcher Kammerorchester.
Mozart ist in der Oper das Non plus ultra. Ich habe vielleicht 400 Zauberflöten gespielt, und ich hatte nie genug davon.
Wir hatten ein Konzert mit Mozarts Gran Partita mit Harnoncourt: Er wollte das damals mit modernen Instrumenten, denn es war im das Instrumentarium weniger wichtig als das Wie des Musizierens. Beim Idomeneo hat er experimentiert, ob er vier Fagotte will oder zwei, sind ja eigentlich nur zwei. Aber es steht glaube ich bei Leopold Mozart, dass es immer gleich viel Celli wie Fagotte sein sollen, auch bei Händel war das so. Aber natürlich ist die Balance mit dem modernen Instrumentarium anders, die vier Fagotte waren dann zu laut, aber das hat er ausprobiert. Wir hatten dann zwei.
Die alten Instrumente sind viel leiser, die Klangfarbe bindet sich mit den Celli besser. Ich habe Bachkantaten mit einem modernen Orchester gespielt, da musste ich wahnsinnig leise spielen. Denn das hat immer herausgestochen, nicht zu laut, aber nicht gemischt. Doch mit den barocken Instrumenten ist es herrlich, wie sich das bindet, mischt. Das ist eine ganz andere Welt. Und es ist auch keine solche Anstrengung.
Am Anfang war Harnoncourt das alte Instrumentarium sehr wichtig, später nicht mehr so, da war ihm dann die Phrasierung wichtiger. Er kann seinen Stil genau so mit modernen Instrumenten pflegen. Die alten sind halt immer noch heikel, er hat dann auch auf neue Geigen Darmsaiten aufgezogen. Ich glaube beim Idomeneo.
Monteverdi war nur mit den alten Instrumenten, teilweise echten. Bei den Blasinstrumenten geht das ja nicht, das sind Nachbauten.
Da waren auch Zinken und der wunderbare Klang der Theorbe. Die hat so ein clownesker Typ gespielt, Jonathan Rubin. Saß da auf der Treppe. Der wohnt in Bern und ist ein Australier.
Die Zürcher Oper ist ja durch Harnoncourt zur Weltgeltung gekommen, nicht?
Es war auch vorher wichtig: Die Uraufführungen von Lulu, Moses und Aron, Martinu, und nicht zu vergessen: Wagner hat hier dirigiert.
Aber man kann das schon sagen….
Ja, und dann war noch Offenbach……
Ach ja, stimmt! Den habe ich richtig ausgeblendet, ich mag ihn nicht, in finde dass diese Musik eine dünne Suppe ist.
Ich mag Offenbach auch nicht, und ich wundere mich, warum Harnoncourt ihn so gerne hat.
Vielleicht weil Offenbach auch ein Cellist war. Oder vielleicht interessiert ihn die politische Situation von damals, ich weiß es nicht und versteh es nicht.
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
einige Anekdoten gesammelt von Anna Mika
Nikolaus Harnoncourt ist bekannt für seine Anekdoten. Sabine M. Gruber, Mitglied des Arnold Schoenberg Chores, hat sie sogar in Buchform veröffentlicht. Da ich selbst immer wieder die Gelegenheit hatte, bei Proben von Harnoncourt dabei zu sein, möchte ich hier einige Anekdoten beziehungsweise typische Geschichten hinzufügen, die meines Wissens bisher nicht die Runde gemacht haben.
Im Jänner 1989 durfte ich bei einer Orchestersitzprobe in Zürich für Mozarts Don Giovanni dabei sein, dank meiner Freundin Gabriele Sima, die die Zerlina war. Es war eine glänzende Besetzung: Edita Gruberova, Gösta Winbergh, Laszlo Polgar, um nur wenige zu nennen.
Die erste Geschichte: Nach etwa 20 Minuten Probe meldet sich einer der Blechbläser, die ja in diesem Stück wenig zu tun haben. Er meinte, er hätte bis dahin keinen Ton gespielt, und ob er eigentlich noch drankäme. Harnoncourt meinte ganz betroffen, aber vielleicht auch ein wenig ironisch: „Ach, dass ich Sie vergessen habe! Nächstes Mal bringe ich Ihnen ein Buch mit für einen solchen Fall. Zum Beispiel Die Brüder Karamasow, ein großartiger Roman. Kennen Sie ihn?“
Die zweite Geschichte ist dem Sinn nach wohlbekannt. Hier verlief sie so: Die fantastische Soloflötistin des Zürcher Opernorchesters, Maria Goldschmidt, spielte eine markante Stelle, leider weiß ich nicht mehr, welche. Harnoncourt unterbrach und bat sie, diese Stelle leiser zu spielen. Sie meinte: „Aber dann ist es ein Risiko“. Er darauf (und jeder Harnoncourt-Fan, weiß, was jetzt kommt): „Wunderbar! Musik ist am schönsten, wenn sie mit Risiko einhergeht.“
An dieser Stelle erzähle ich aus meiner eigenen Arbeit mit Harnoncourt. Das war in der Saison 1981/82 am Salzburger Landestheater. Es war ein Programm mit Henry Purcell, vor allem seine Oper Dido und Aeneas. Beim Tod Didos singt der Chor: „With drooping wings ye cupids come“, und da musste der Sopran polyphon auf einem g‘‘ einsetzen. Harnoncourt wollte diesen Gesang sehr zart, so sehr, dass mir immer wieder einmal die Stimme brach – nicht so schlimm, denn wir waren ja mehrere Soprane, etwa sieben. Aber ich schämte mich immer sehr dafür. Viel später begriff ich, dass Harnoncourt genau dies wollte: dass man am Rande des Versagens der Stimme singt, als wenn man weinen würde.
Da fällt mir dazu eine weitere Anekdote ein, die mir Eva Mei erzählte. Sie probte mit Harnoncourt Mozarts Figaro, die erste Arie der Gräfin. Diese ist bekanntlich am Anfang sehr traurig, weil ihr Mann sie hintergeht („Porgi amor, qualche ristoro“). Harnoncourt sagte zu Eva: „Sie müssen das singen, als hätten Sie die ganze Nacht geweint“. Eva darauf: „Und, was meinen Sie, schreiben dann die Kritiker?“
Nun eine kleine Geschichte, die mir der kürzlich verstorbene Günter Fetz erzählt hat, Vater einer Geigerin des Concentus Musicus Wien. Diese Begebenheit liegt schon eine Weile zurück, sie spielte sich ab, als Leggings in Gebrauch kamen. Da muss man zum einen wissen, dass Nikolaus Harnoncourt alles andere als modebewusst war, zum anderen muss man wissen, dass unter den Geigerinnen des Concentus welche waren, die besonders hübsche lange Beine hatten. Nun also: bei einer vormittäglichen Probe saß die Stimmführerin der zweiten Geigen in attraktiv gemusterten Leggings am Pult. Herr Harnoncourt probte, aber sah immer wieder irritiert in ihre Richtung. Schließlich nahm er sie in der Pause beiseite und raunte: „Um Gottes willen Anita, Du hast vergessen, Dich umzuziehen. Du hast ja Deine Pyjamahose noch an.“
Bei der Bühnenorchesterprobe zu Beethovens „Fidelio“ in Zürich Anfang der 1990er Jahre war das Schlussbild an der Reihe. Der Chor fing an mit „Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde“ Bei den Einwürfen der einzelnen Stimmen mit „Heil“ haperte es, die Sänger und Sängerinnen brachten diese hoch-präsente Attacke nicht zustande. Chordirektor Karl Kamper wanderte nervös im Parkett herum. Nicht nur ich dürfte bei dieser Probe zuhören, sondern es waren auch zwei junge Frauen mit einem Kleinkind drinnen. Auf dem Höhepunkt der Ratlosigkeit, wie mit dieser Stelle umgehen (Beethovens Anforderungen an Gesangstimmen sind ja berüchtigt!), fing das Kind lauthals zu krähen an. Die Mutter stürzte eiligst dem Ausgang zu, doch Nikolaus Harnoncourt drehte sich lächelnd zum Kind um und sagte dann zum Chor: „Hören Sie sich das an, so müssen Sie das singen! Einfach loslegen. Baaahh“ Alle lachten und die Stelle klappte, bei dieser Probe und auch in der Premiere.
Diese Begebenheit ist jetzt weniger humoristisch, aber bezeichnend für Nikolaus Harnoncourt geistige Haltung. Es war 1998. Zum zehnten Todestag von Jean Pierre Ponnelle rekonstruierte man am Opernhaus Zürich dessen Inszenierung von Mozarts „Lucio Silla“, in Bühnenbildern nach den Skizzen des Architekten Palladio. Harnoncourt dirigierte. Bei der Premierenfeier, die in Zürich wie immer auf der Hinterbühne im Beisein der Künstler wie auch des Publikums (jeder war eingeladen) stattfand, hielt Intendant Alexander Pereira – wie üblich – eine Rede mit Dank an alle Mitwirkenden. Als die Reihe an Nikolaus Harnoncourt kam, sage Pereira: „Das war so wunderbar, wir knien uns jetzt alle einmal vor Nikolaus nieder.” Ein Moment des verblüfften Schweigens, in dem man tatsächlich schon das Rascheln hörte, das anzeigte, dass sich mache zum Knien anschickten. Da rief Nikolaus Harnoncourt: „Nein, lassen Sie das, das ist ja blasphemisch!“
Mit freundlicher Genehmigung von Anna Mika
Giovanni Antonini- Dirigent
„Nikolaus Harnoncourt hat nicht nur die Geschichte der Interpretation von Musik verändert, sondern auch das Leben vieler Musiker, die von dem fantastischen Einfühlungsvermögen des großartigen Maestro sozusagen geblendet wurden. Ich erinnere mich daran, dass ich geschockt war von seiner revolutionären Interpretation von Vivaldis ‚Vier Jahreszeiten‘, von Mozarts Sinfonie Nr. 40 und anderen: Danach konnte es nie wieder so sein wie zuvor. In historischer Dimension und Art der konzeptionellen Umwälzung möchte ich es mit der Kopernikanischen Wende vergleichen!“
Rudolf Buchbinder - Pianist
„Lieber Nikolaus, all Deine Erkenntnisse, Deine jahrzehntelangen Erfahrungen hast Du zu Papier gebracht, sie sind auf Tonträgern dokumentiert. Du hast Deiner Nachwelt ein Erbe hinterlassen, welches für jeden einzelnen Musiker und Musikliebenden ein unumgängliches, notwendiges Vermächtnis darstellt. Die Musikwelt verehrt Dich als Instanz, – sie hat von Dir gelernt – in ihrem Namen möchte ich zum Ausdruck bringen, wie dankbar wir alle Dir sind. Alles Liebe, Dein Rudi“
29.11.2019 von Nils Mönkemeyer